Durch den fehlenden First-pass-Effekt sind Estrogene transdermal weitaus niedriger zu dosieren. Anders als bei oraler Applikation werden die Leberproteine nicht hochreguliert. Deshalb schneidet die transdermale Estrogenzufuhr bei Leberdefekten und einer Vielzahl internistischer Erkrankungen oder Stoffwechselstörungen aus Sicherheitsaspekten weitaus günstiger ab.
Aus hormoneller Sicht ist das venöse Thromboembolierisiko in erster Linie estrogen-abhängig. Orale
Estrogene steigern es über die erhöhte Produktion von Gerinnungsfaktoren in der Leber. Transdermales
Estradiol ist bei diesem Weg der Thrombosenbildung weitaus sicherer.
Deshalb steht für Mueck außer Zweifel, dass sich die Thrombosegefahr durch transdermale Estrogene
minimieren lässt. Dieser Aspekt wird durch die ungebremste Zunahme von Adipositas in der Bevölkerung
in Zukunft noch mehr Bedeutung gewinnen, wenn es um die Sicherheit von Hormonen geht.
Generell ist das Thromboserisiko altersabhängig, bei Prädisposition genetisch determiniert - und es
korreliert mit Übergewicht und Adipositas. Eine Frau mit einem Body-Mass-Index von >30 kg/m2 weist
ein vergleichbar erhöhtes Risiko auf wie eine normalgewichtige mit heterozygoter Faktor-V-Leiden-Mutation.
Die höhere Sicherheit zeigte bereits eine französische Fall-Kontrollstudie der ESTHER-Gruppe:
Unter oralen Estrogenen stieg das Risiko auf mehr als das Vierfache (OR 4,3), während bei
transdermaler Gabe keine signifikante Erhöhung eintrat (OR 1,2).
Bei Frauen mit heterozygoten prothrombotischen Genvarianten (Faktor-V-Leiden-Mutation, Prothrombin
20210A-Mutation) war das - per se erhöhte - Thromboserisiko (OR 4,1) bei transdermaler Estrogentherapie
nicht klinisch relevant gesteigert (OR 4,2). Unter oralen Estrogenen dagegen ergab sich eine 25-fache
Zunahme von Venenthrombosen (OR 25,5).
Dass auch Übergewicht und Adipositas gravierende Risikofaktoren darstellen, zeigt eine Nachfolgestudie. Bei Frauen mit einem BMI bis 25 kg/m2 wurde unter oralen Estrogenen ein fast sechsfaches Risiko (OR 5,9) ermittelt (transdermal 1,2). In der "Gewichtsklasse" zwischen 25 und 30 stieg es auf das Zehnfache (OR 10,2, transdermal 2,9). Bei noch höherem BMI berechnete sich für die oralen Estrogene ein rund 20-faches Risiko (OR 20,6, transdermal 5,4)(Abb.).
Höhere Sicherheit von transdermalem Estradiol (ESTHER-Gruppe): Unter oralen Estrogenen stieg das Risiko auf mehr als das Vierfache (OR 4,3), während bei transdermaler Gabe keine signifikante Erhöhung eintrat (OR 1,2). (nach Canonico M, et al. 2006. J Thromb Haemostasis 4:1259-1265). |
Zu ähnlich positiven Aussagen für die transdermale Estrogengabe kamen englische Wissenschaftler bei einer populationsbasierten Studie mit mehr als 23.000 Fällen und 232.000 Kontrollen: Mit transdermalen Estrogenen allein oder in Kombination mit Gestagenen war das Risiko venöser Thromboembolien bei einer adjustierten Rate Ratio (aRR) von 1,00 nicht erhöht, während mit oralen Estrogenen oder oralen Estrogen-Gestagen-Kombinationen eine signifikante Erhöhung auffiel (aRR 1,52).
Die Gestagen-Komponente spielt in diesem Zusammenhang zwar eine untergeordnete Rolle. Trotzdem lieferte
bereits die WHI-Studie klare Assoziationen: Der Vergleich des Mono- mit dem Kombi-Arm zeigte, dass der
Zusatz von Medroxyprogesteronacetat (MPA) zu equinen Estrogenen das estrogenbedingte Risiko für venöse
Thrombosen um zusätzliche 60% erhöht (HR 1,34 Mono-Arm, HR 2,09 Kombi-Arm).
Auch in der E3N-Studie fanden die Autoren Hinweise für einen Einfluss der Gestagenkomponente: Die
Kombination von transdermalem Estradiol (Gynokadin® Dosiergel) mit natürlichem Progesteron führte nicht
zu einem signifikant erhöhten Risiko (HR 0,9), weshalb die Autoren diese Verbindung als sicherer einstufen.
Die Kombination mit Norpregnan-Gestagenen dagegen bewirkte in der ESTHER-Studie nach Adjustierung auf
Adipositas, Familienanamnese und Varikosis einen Anstieg (OR 4,0).
Die Situation bei arteriellen Thromboembolien ist weitaus schwieriger. Estrogene in zeitlich großem
Abstand von der Menopause gelten als stärker risikobehaftet, da - abhängig von der Risikokonstellation -
eine Destabilisierung der atherosklerotischen Plaques eintritt. Bestimmte Gestagene - etwa MPA - können
den Effekt verstärken.
Möglich ist zudem ein unterschiedlicher Einfluss der verschiedenen Estrogene einerseits und der
Applikationsform andererseits. So weist eine britische Studie mit 15.000 Fällen und 60.000 Kontrollen
nur unter oraler Estrogengabe ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle (OR 1,28) aus, nicht aber für niedrig
dosiertes transdermales Estrogen (OR 0,81). Ein Mechanismus hierbei könnte die erhöhte APC-Resistenz unter
oralen Estrogenen sein, erklärte der Referent.
Unzweifelhaft ist jedoch eine Hypertonie der wichtigste Risikofaktor für arterielle Thromboembolien -
dieses Grundrisiko wird durch Hormone weiter erhöht. Bei betroffenen Frauen sollte die Hormontherapie so
gewählt werden, dass einer Hypertonie nicht zusätzlich "Vorschub" geleistet wird. Da transdermale Estrogene
das Angiotensinogen nicht ansteigen lassen, könnte ein über das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System
vermittelter Blutdruckanstieg vermieden werden. Alternativ biete sich als Gestagen Drospirenon an, was den
Aldosteron-Effekt in den distalen Nierentubuli vermeidet und so einer Hypertonie sogar entgegen wirkt.
Insgesamt, so Mueck, handelt es sich bei Hirninsulten um ein komplexes Geschehen. Aus Sicherheitsgründen
empfiehlt er eine "blutdruckneutrale" Hormontherapie. Bei den Estrogenen scheint die transdermale Gabe sicherer.
Bei Gestagenen ist eine neutrale Wirkung auf die Gefäße wichtig. MPA stufte Mueck hierbei als ungünstig,
natürliches Progesteron (wie Utrogest®) und Dydrogesteron als günstiger ein.
Die Wahl des Gestagens ist für den Experten auch hinsichtlich des Brustkrebsrisikos wichtig: Manche
Gestagene können benigne und maligne Brustzellen unabhängig von Wachstumsfaktoren und Estradiol stimulieren.
Deshalb geht er nicht von einem Gruppeneffekt aus. Zu berücksichtigen sind zusätzlich auch noch individuell
gut oder schlecht funktionierende Entgiftungsmechanismen.
Normalerweise wird eine starke Proliferation der Zellen angeregt durch stromale Wachstumsfaktoren, die
Vorgänge werden gesteuert über spezifische Rezeptoren auf der Zellmembran. Diese werden stimuliert durch
synthetische Gestagene, nicht aber durch Progesteron, wie Mueck anhand eigener Forschungen darlegte.
Insgesamt ist ein erhöhtes Brustkrebsrisiko bei langfristiger Anwendung für keine Form der Hormontherapie
auszuschließen. Es ist durch die transdermale Gabe der niedrigsten effektiven Dosis Estradiol in Kombination
mit Progesteron möglicherweise aber zu minimieren. Einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion des Brustkrebsrisiko
können Frauen durch einen entsprechenden Lebensstil leisten: Sportliche Aktivität, Abbau von Übergewicht
und Alkoholkonsum schlagen sich - auch nach der jüngsten Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums - in einem
nicht unerheblichen Ausmaß nieder.
Quelle: Symposium anlässlich des Fortbildungskongress des Berufsverbands für Frauenärzte: “Frauengesundheit
und Hormone: Risikoreduktion durch individualisierte Behandlung”
am 18. Februar 2011 in Düsseldorf. Veranstalter: Dr. Kade GmbH.
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