Frauengesundheit und Hormone
Risikoreduktion durch individualisierte Behandlung
 
Das Risiko für unerwünschte Ereignisse unter einer Hormontherapie ist durch eine individuell angepasste Therapie deutlich zu reduzieren. Selbst die S3-Leitlinie weist explizit auf Unterschiede zwischen einzelnen Estrogenen, Gestagenen und deren Kombinationen sowie die Auswirkungen verschiedener Darreichungsformen hin. Speziell das Thromboserisiko ist durch die transdermale Gabe von Estrogenen signifikant zu reduzieren.

Hilfreich bei der Entscheidung für eine individuell möglichst sichere Hormontherapie sind nicht nur Ergebnisse aus Studien mit dem höchsten Evidenzgrad. Wie Professor Alfred Mueck (Tübingen) bei einem Symposium des Unternehmens Dr. Kade beim Fortbildungskongress des Berufsverbands für Frauenärzte in Düsseldorf erklärte, müssten vielmehr auch Fall-Kontroll- und Beobachtungsstudien mit hohen Fallzahlen berücksichtigt werden. Zudem sollte die biologische Plausibilität der möglichen Auswirkungen von synthetischen und physiologischen Hormonen ins Kalkül gezogen werden.

Spezielle Optionen der transdermalen Hormontherapie

Durch den fehlenden First-pass-Effekt sind Estrogene transdermal weitaus niedriger zu dosieren. Anders als bei oraler Applikation werden die Leberproteine nicht hochreguliert. Deshalb schneidet die transdermale Estrogenzufuhr bei Leberdefekten und einer Vielzahl internistischer Erkrankungen oder Stoffwechselstörungen aus Sicherheitsaspekten weitaus günstiger ab.


Weniger Thrombosen bei transdermalen Estrogenen

Aus hormoneller Sicht ist das venöse Thromboembolierisiko in erster Linie estrogen-abhängig. Orale Estrogene steigern es über die erhöhte Produktion von Gerinnungsfaktoren in der Leber. Transdermales Estradiol ist bei diesem Weg der Thrombosenbildung weitaus sicherer.
Deshalb steht für Mueck außer Zweifel, dass sich die Thrombosegefahr durch transdermale Estrogene minimieren lässt. Dieser Aspekt wird durch die ungebremste Zunahme von Adipositas in der Bevölkerung in Zukunft noch mehr Bedeutung gewinnen, wenn es um die Sicherheit von Hormonen geht.
Generell ist das Thromboserisiko altersabhängig, bei Prädisposition genetisch determiniert - und es korreliert mit Übergewicht und Adipositas. Eine Frau mit einem Body-Mass-Index von >30 kg/m2 weist ein vergleichbar erhöhtes Risiko auf wie eine normalgewichtige mit heterozygoter Faktor-V-Leiden-Mutation.


Mehr Sicherheit bei Mutationen

Die höhere Sicherheit zeigte bereits eine französische Fall-Kontrollstudie der ESTHER-Gruppe: Unter oralen Estrogenen stieg das Risiko auf mehr als das Vierfache (OR 4,3), während bei transdermaler Gabe keine signifikante Erhöhung eintrat (OR 1,2).
Bei Frauen mit heterozygoten prothrombotischen Genvarianten (Faktor-V-Leiden-Mutation, Prothrombin 20210A-Mutation) war das - per se erhöhte - Thromboserisiko (OR 4,1) bei transdermaler Estrogentherapie nicht klinisch relevant gesteigert (OR 4,2). Unter oralen Estrogenen dagegen ergab sich eine 25-fache Zunahme von Venenthrombosen (OR 25,5).

Übergewicht und Adipositas sind gravierende Risikofaktoren

Dass auch Übergewicht und Adipositas gravierende Risikofaktoren darstellen, zeigt eine Nachfolgestudie. Bei Frauen mit einem BMI bis 25 kg/m2 wurde unter oralen Estrogenen ein fast sechsfaches Risiko (OR 5,9) ermittelt (transdermal 1,2). In der "Gewichtsklasse" zwischen 25 und 30 stieg es auf das Zehnfache (OR 10,2, transdermal 2,9). Bei noch höherem BMI berechnete sich für die oralen Estrogene ein rund 20-faches Risiko (OR 20,6, transdermal 5,4)(Abb.).


  
Höhere Sicherheit von transdermalem Estradiol (ESTHER-Gruppe): Unter oralen Estrogenen stieg das Risiko auf mehr als das Vierfache (OR 4,3), während bei transdermaler Gabe keine signifikante Erhöhung eintrat (OR 1,2). (nach Canonico M, et al. 2006. J Thromb Haemostasis 4:1259-1265).
 
UK-Studie bestätigt höhere Sicherheit

Zu ähnlich positiven Aussagen für die transdermale Estrogengabe kamen englische Wissenschaftler bei einer populationsbasierten Studie mit mehr als 23.000 Fällen und 232.000 Kontrollen: Mit transdermalen Estrogenen allein oder in Kombination mit Gestagenen war das Risiko venöser Thromboembolien bei einer adjustierten Rate Ratio (aRR) von 1,00 nicht erhöht, während mit oralen Estrogenen oder oralen Estrogen-Gestagen-Kombinationen eine signifikante Erhöhung auffiel (aRR 1,52).


Möglicher Einfluss von Gestagenen

Die Gestagen-Komponente spielt in diesem Zusammenhang zwar eine untergeordnete Rolle. Trotzdem lieferte bereits die WHI-Studie klare Assoziationen: Der Vergleich des Mono- mit dem Kombi-Arm zeigte, dass der Zusatz von Medroxyprogesteronacetat (MPA) zu equinen Estrogenen das estrogenbedingte Risiko für venöse Thrombosen um zusätzliche 60% erhöht (HR 1,34 Mono-Arm, HR 2,09 Kombi-Arm).
Auch in der E3N-Studie fanden die Autoren Hinweise für einen Einfluss der Gestagenkomponente: Die Kombination von transdermalem Estradiol (Gynokadin® Dosiergel) mit natürlichem Progesteron führte nicht zu einem signifikant erhöhten Risiko (HR 0,9), weshalb die Autoren diese Verbindung als sicherer einstufen. Die Kombination mit Norpregnan-Gestagenen dagegen bewirkte in der ESTHER-Studie nach Adjustierung auf Adipositas, Familienanamnese und Varikosis einen Anstieg (OR 4,0).


Arterielle Thromboembolien

Die Situation bei arteriellen Thromboembolien ist weitaus schwieriger. Estrogene in zeitlich großem Abstand von der Menopause gelten als stärker risikobehaftet, da - abhängig von der Risikokonstellation - eine Destabilisierung der atherosklerotischen Plaques eintritt. Bestimmte Gestagene - etwa MPA - können den Effekt verstärken.
Möglich ist zudem ein unterschiedlicher Einfluss der verschiedenen Estrogene einerseits und der Applikationsform andererseits. So weist eine britische Studie mit 15.000 Fällen und 60.000 Kontrollen nur unter oraler Estrogengabe ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle (OR 1,28) aus, nicht aber für niedrig dosiertes transdermales Estrogen (OR 0,81). Ein Mechanismus hierbei könnte die erhöhte APC-Resistenz unter oralen Estrogenen sein, erklärte der Referent.
Unzweifelhaft ist jedoch eine Hypertonie der wichtigste Risikofaktor für arterielle Thromboembolien - dieses Grundrisiko wird durch Hormone weiter erhöht. Bei betroffenen Frauen sollte die Hormontherapie so gewählt werden, dass einer Hypertonie nicht zusätzlich "Vorschub" geleistet wird. Da transdermale Estrogene das Angiotensinogen nicht ansteigen lassen, könnte ein über das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System vermittelter Blutdruckanstieg vermieden werden. Alternativ biete sich als Gestagen Drospirenon an, was den Aldosteron-Effekt in den distalen Nierentubuli vermeidet und so einer Hypertonie sogar entgegen wirkt.
Insgesamt, so Mueck, handelt es sich bei Hirninsulten um ein komplexes Geschehen. Aus Sicherheitsgründen empfiehlt er eine "blutdruckneutrale" Hormontherapie. Bei den Estrogenen scheint die transdermale Gabe sicherer. Bei Gestagenen ist eine neutrale Wirkung auf die Gefäße wichtig. MPA stufte Mueck hierbei als ungünstig, natürliches Progesteron (wie Utrogest®) und Dydrogesteron als günstiger ein.


Brustkrebsrisiko: Kein Gruppeneffekt bei Gestagenen

Die Wahl des Gestagens ist für den Experten auch hinsichtlich des Brustkrebsrisikos wichtig: Manche Gestagene können benigne und maligne Brustzellen unabhängig von Wachstumsfaktoren und Estradiol stimulieren. Deshalb geht er nicht von einem Gruppeneffekt aus. Zu berücksichtigen sind zusätzlich auch noch individuell gut oder schlecht funktionierende Entgiftungsmechanismen.
Normalerweise wird eine starke Proliferation der Zellen angeregt durch stromale Wachstumsfaktoren, die Vorgänge werden gesteuert über spezifische Rezeptoren auf der Zellmembran. Diese werden stimuliert durch synthetische Gestagene, nicht aber durch Progesteron, wie Mueck anhand eigener Forschungen darlegte.
Insgesamt ist ein erhöhtes Brustkrebsrisiko bei langfristiger Anwendung für keine Form der Hormontherapie auszuschließen. Es ist durch die transdermale Gabe der niedrigsten effektiven Dosis Estradiol in Kombination mit Progesteron möglicherweise aber zu minimieren. Einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion des Brustkrebsrisiko können Frauen durch einen entsprechenden Lebensstil leisten: Sportliche Aktivität, Abbau von Übergewicht und Alkoholkonsum schlagen sich - auch nach der jüngsten Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums - in einem nicht unerheblichen Ausmaß nieder.


Quelle: Symposium anlässlich des Fortbildungskongress des Berufsverbands für Frauenärzte: “Frauengesundheit und Hormone: Risikoreduktion durch individualisierte Behandlung” am 18. Februar 2011 in Düsseldorf. Veranstalter: Dr. Kade GmbH.

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Adipositas schürt Thrombosen

Mit Pille und Heparin auf die Langstrecke


Bei der Kalkulation des individuellen Risikos zur Prophylaxe venöser Thromboembolien ist das Übergewicht als unabhängiger Risikofaktor zu berücksichtigen. Diesem Punkt werden Gynäkologen zunehmend Rechnung tragen müssen, prognostizierte Prof. Helmut Schinzel (Mainz). Der Gerinnungsspezialist stufte bei adipösen Frauen eine Prophylaxe auch vor geplanten Laparoskopien als notwendig ein.

Große chirurgische Eingriffe in der Gynäkologie gehen mit einem 15-40%igen Risiko für venöse Thrombosen einher. Bei heterozygoter Faktor-V-Leiden-Mutation besteht ein siebenfaches Risiko, bei homozygoter Mutation klettert die Wahrscheinlichkeit auf das 40- bis 100-Fache.

Der Risikofaktor Immobilisierung ist für Adipöse nicht nur bei Eingriffen, sondern bereits im täglichen Leben ein Problem - und besonders auf dem Weg in den Urlaub an weit entfernte Ziele: Vor einem Langstreckenflug ist für Schinzel bei übergewichtigen und adipösen Mädchen und Frauen unter der Pille durchaus eine Thrombose-Prophylaxe zu überlegen. In diesen Fällen sollten unbedingt niedermolekulare Heparine eingesetzt werden - und nicht Acetylsalicylsäure, wie von manchen Stellen empfohlen werde.