Febrile Neutropenie – klinische Vorteile durch Pegfilgrastim
Normalerweise sorgen die neutrophilen Granulozyten dafür, dass im menschlichen Körper
drohende Infektionen abgewendet werden können, erläuterte Professor Dr. Hartmut Link vom
Westpfalz-Klinikum in Kaiserslautern. Viele zytotoxische Chemotherapien beeinträchtigen
jedoch die Funktion und Bildung von Granulozyten. Kommt es zu einem drastischen Abfall
der neutrophilen Granulozyten und zu Fieber, so sind dies die typischen Anzeichen einer
febrilen Neutropenie (FN). „Dann müssen wir Ärzte sofort reagieren, um das
Leben der Patienten zu retten“. Mit diesen Worten beschrieb Link den Ernst der Lage
beim Auftreten dieser lebensbedrohlichen Komplikation. Eine Studie mit mehr als 40.000
Patienten, die wegen einer FN während einer Chemotherapie stationär behandelt wurden,
zeigte eine Mortalitätsrate von 9,5 % (Kuderer NM et al. Cancer. 2006;106:2258-66).
Lagen zusätzliche Komorbiditäten vor, starb jeder fünfte Patient. Da eine Reduktion
der geplanten Dosis und/oder die Verschiebung des darauf folgenden Chemotherapiezyklus
zu einer Gefährdung des Therapieziels führen, sollten sie unbedingt vermieden werden.
Daher empfehlen die aktuellen nationalen und internationalen Leitlinien übereinstimmend
den primärprophylaktischen Einsatz von Granulozyten-koloniestimulierenden Faktoren (G-CSF),
wenn das Risiko für eine FN bei mehr als 20% liegt sowie bei einem Risiko zwischen 10 und 20%
bei Vorliegen zusätzlicher patientenindividueller Risikofaktoren. Bei der Prophylaxeplanung
sollten Faktoren wie beispielsweise ein Alter über 65 Jahre, eine fortgeschrittene Erkrankung
oder ein schlechter Allgemeinzustand unbedingt berücksichtigt werden. Link verwies darauf,
dass von Beginn der Chemotherapie an eine effektive Prophylaxe erfolgen sollte, da das Risiko
für eine FN im ersten Zyklus am größten ist (Lyman GH et al. Cancer. 2011;117(9):1917-27).
„Die Primärprophylaxe mit täglichem G-CSF sollte am ersten Tag nach der Chemotherapie
beginnen und mindestens zehn Tage dauern", so Link. Um Kosten zu sparen, werde G-CSF
jedoch manchmal nur über wenige Tage gegeben. „Das ergibt medizinisch überhaupt keinen Sinn“,
unterstrich Link. Stattdessen sollte das nur einmal pro Zyklus zu verabreichende
G-CSF Pegfilgrastim (Neulasta®) verwendet werden.
In der klinischen Praxis hat sich dieses Vorgehen laut Link bereits seit 10 Jahren bewährt.
Denn das lang wirksame Pegfilgrastim hat nicht nur den Vorteil, dass die Prophylaxe über
den notwendigen Zeitraum gesichert ist, sondern bietet zudem Effektivitätsvorteile
gegenüber herkömmlichem, täglich zu verabreichendem G-CSF. Im Rahmen einer Studie
erwies sich Pegfilgrastim als signifikant effektiver zur FN-Prävention als tägliches G-CSF über
sechs Tage (Von Minckwitz G et al. Ann Oncol 2008;19(2):292-8). Dieser Effekt zeigte
sich bereits ab dem ersten Zyklus (FN-Inzidenz: 2% vs. 9%, p <0,001) und setzte sich
über alle Zyklen hinweg fort (7% vs. 18%, p <0,001). Zudem senkte Pegfilgrastim das
Risiko von neutropeniebedingten Hospitalisierungen. Weitere Untersuchungen zeigen laut
Link ebenfalls, dass Pegfilgrastim bei der Unterstützung der planmäßigen
Chemotherapie-Verabreichung wirksamer ist als die suboptimale tägliche G-CSF-Gabe.
Eine 2011 publizierte Metaanalyse unterstreicht noch einmal, dass die FN-Inzidenz
unter Pegfilgrastim im Vergleich zu täglich verabreichtem G-CSF signifikant geringer
ist (Cooper KL et al. BMC Cancer 2011;11:404). „Durch den konsequenten,
primärprophylaktischen Einsatz dieses G-CSF kann das Risiko einer FN verringert,
aber auch die Schwere und Dauer einer
Neutropenie vermindert werden, was nicht nur die Komplikationsrate erheblich senkt,
sondern auch die Lebensqualität der betroffenen Patienten erhöht“, resümierte Link
abschließend.
Hand-Fuß-Syndrom: Innovatives Therapiekonzept hilft bei regelmäßigem Einsatz
Eine der häufigsten mit Tumortherapien assoziierten unerwünschten Hautreaktionen ist
das Hand-Fuß-Syndrom (HFS, palmo-plantare Erythrodysästhesie, PPE), berichtete
Professor Dr. Leonhard Zastrow vom Center of Applied Cutaneous Physiology der Charité in
Berlin. Dieses Syndrom, das sich durch schmerzhafte Erytheme mit ödematöser Schwellung
an Fußsohlen und Handflächen äußert, hat großen Einfluss auf die Lebensqualität der
Patienten (Rosenbaum S.E. et al. Support Care Cancer; 2008.16(6):557–66). Es geht
zudem häufig mit Hautrissen, Blasenbildung sowie Sensitivitätsstörungen, Taubheitsgefühl
und Kribbeln einher. „Nicht nur die Lebensqualität der Patienten leidet, sondern auch
die Therapie wird häufig beeinträchtigt und muss in schweren Fällen sogar unterbrochen
werden“, berichtete Zastrow. Die belastende kutane Nebenwirkung tritt insbesondere nach
der Applikation von Zytostatika wie pegyliertem liposomalem Doxorubicin, 5-Fluorouracil,
Cytarabin, Methotrexat und Capecitabin auf, aber auch moderne Tyrosinkinase-Inhibitoren
wie Sorafenib und Sunitinib können ein HFS verursachen.
Das HFS wird klinisch in drei Schweregrade unterteilt: Bei Grad 1 kommt es zwar zu Rötungen,
Dysästhesien und Parästhesien, der Alltag der Patienten ist jedoch zumeist noch nicht
beeinträchtigt. Bei Grad 2 sind die Rötungen schmerzhaft und es treten auch Erytheme und
Schwellungen auf, so dass alltägliche Aktivitäten nur eingeschränkt möglich sind. Bei
Grad 3 liegt eine flächige Blasenbildung vor, zudem nässen die Wunden oft. Neben starken
Schmerzen werden groblamelläre Desquamationen und Ulzerationen beobachtet. Dadurch sind
selbst einfache Vorgänge wie Laufen oder Händewaschen nicht mehr möglich.
Ursache für das HFS ist das verabreichte Chemotherapeutikum, das über die Schweißdrüsen
nach außen gelangt, sich auf der Haut verteilt und dann von außen wieder in die Haut
eindringt. An Handinnenflächen und Fußsohlen, wo die Hornschicht besonders dick ist,
lagert sich das Chemotherapeutikum dauerhaft an und schädigt durch Bildung freier
Radikale das Gewebe. Basierend auf diesen Erkenntnissen mit pegyliertem liposomalem
Doxorubicin wurde eine Salbe gegen das HFS entwickelt: „Diese Innovation beim HFS
ist ein Paradebeispiel dafür, wie erfolgreich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit
zwischen Onkologen, Dermatologen und Naturwissenschaftlern sein kann“, unterstrich
Zastrow. Die medizinische Salbe Mapisal® weist eine doppelte Wirksamkeit auf:
Einerseits bildet ihre Hautschutzkomponente auf der Hautoberfläche einen effektiven
Schutzfilm und verhindert so das Eindringen des Chemotherapeutikums, andererseits
besitzt die Salbe ein außerordentlich hohes antioxidatives Potenzial und fängt damit die entstehenden freien
Radikale ab, wodurch die Schädigung der Haut verhindert wird. Wie überzeugend dieses
Prinzip auch in der alltäglichen Praxis funktioniert, demonstriert eine aktuelle, auf
dem Amerikanischen Krebskongress ASCO vorgestellte Studie (Kluschke F. et al. J Clin Oncol 2012;30(suppl; abstr 5064)).
Im Rahmen dieser Studie trugen 20 Patientinnen, die eine Therapie mit pegyliertem
liposomalem Doxorubicin erhielten, jeweils beginnend 2 Tage vor Therapiebeginn zweimal
täglich die antioxidative Salbe auf gefährdete Stellen auf. Alle Patientinnen, die sich
regelmäßig eincremten, entwickelten kein HFS. Auch bei Frauen, die die Applikation
zwischenzeitlich unterbrochen hatten und dann ein HFS bekamen, verhinderte darauf
folgendes, vermehrtes Eincremen eine Verstärkung der Symptome oder diese verschwanden
vollständig. Zurzeit laufen noch weitere Untersuchungen zur Wirksamkeit dieser Creme bei
HFS nach Gabe anderer Zytostatika. Zastrow betonte abschließend: „Da eine gute Compliance
unerlässlich für den Erfolg dieses Medizinproduktes ist, sollten alle medizinischen
Fachkräfte die Patienten entsprechend aufklären und an das regelmäßige Auftragen erinnern.“
Emesis bei gastrointestinalen Tumoren: Palonosetron wirkt akut und verzögert
Trotz relevanter Fortschritte in den letzten 20 Jahren sind Übelkeit und Erbrechen immer noch
sehr belastende Nebenwirkungen vieler onkologischer Therapien. „Die beste Strategie gegen
Übelkeit und Erbrechen besteht in der optimalen, entsprechend den Leitlinien ausgeführten
Prophylaxe“, erläuterte PD. Dr. med. Sylvie Lorenzen, München. Dabei basiert die
Therapieentscheidung auf der Einschätzung des emetogenen Risikos für den jeweiligen
Patienten, d. h. sowohl substanzspezifische als auch personenspezifische Risikofaktoren
müssen laut der Onkologin berücksichtigt werden. Die antiemetische Prophylaxe wird in der
Praxis noch immer nicht ausreichend angewendet. „Dabei wird insbesondere das Auftreten von
Chemotherapie-induzierter Übelkeit/Erbrechen (Chemotherapy-induced Nausea and Vomiting (CINV))
in der verzögerten Phase von den Fachkräften unterschätzt (Grunberg S. et al. Cancer 2004;100:2261-8).
Demnach leiden bei moderat-emetogenen Therapien (MEC) ca. 50% der Patienten unter verzögerter Emesis,
während bei hoch-emetogenen Chemotherapien (HEC) die Zahl sogar auf 60% ansteigt.
Eigentlich stehen wirksame Antiemetika zur Verfügung, um diese für die Patienten sehr
belastende Situation zu vermeiden. Als Stützpfeiler dienen die 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten
(Setrone). In diesem Zusammenhang hebt Lorenzen Palonosetron hervor, denn dies ist das einzige
Setron, das sowohl in der akuten als auch in der verzögerten Phase wirkt. Dies liegt laut der
Expertin an den besonderen Eigenschaften der Substanz: Palonosetron hat die größte
Rezeptorbindungsaffinität und die längste Halbwertszeit unter den Setronen. Es bindet
allosterisch an den 5-HT3-Rezeptor und setzt dadurch eine Internalisierung des
Rezeptors in die Zelle in Gang, die seine antagonistische Wirkung über längere Zeit
unterstützt (Rojas C et al. Anesth Analg 2008;107:469-78). Dadurch wird wahrscheinlich
ein Cross-Talk zwischen den NK1- und 5-HT3-Rezeptoren modifiziert. Diese indirekte
Beeinflussung des NK1-Rezeptors erklärt zusätzlich die substanzspezifische besondere
Wirksamkeit in der verzögerten Phase. Palonosetron ist nach Erfahrungen von Lorenzen
aus der eigenen klinischen Praxis sehr gut verträglich, eine Aggravierung der Nebenwirkungen
bleibt aus. Die Anwendung ist ebenso einfach wie effktiv: Eine Einmalgabe vor dem
Chemotherapiezyklus reicht aus, wobei zwischen einer i.v. Injektionslösung und einer
Weichkapsel zur oralen Anwendung gewählt werden kann. In den aktuellen praxisbezogenen
NCCN-Guidelines 2012 (www.nccn.org) ist Palonosetron der bevorzugte 5-HT3-Rezeptorantagonist
sowohl bei MEC als auch bei HEC (in Kombination mit einem NK1-Rezeptor-Antagonist).
„Nicht nur aufgrund der eingesetzten Zytostatika, auch aufgrund der Grunderkrankung neigen
Patienten mit gastrointestinalen Tumoren verstärkt zu Emesis“, führte Lorenzen weiter aus.
Bei der Chemotherapie von gastrointestinalen Tumoren ist daher bei zusätzlicher tumorbedingter
Symptomatik die adäquate antiemetische Prophylaxe vom ersten Therapietag an von entscheidender
Bedeutung. Die Standard-Chemotherapien beim häufigsten gastrointestinalen Tumor, dem kolorektalen
Karzinom (CRC), sind moderat emetogen. Das bedeutet aber auch, dass bis zu 90% der Patienten an
CINV leiden können und eine ausgeprägte verzögerte CINV am Therapietag 2 bis 5 vorliegen kann,
erinnerte Lorenzen. Mehrere aktuelle Studien haben belegt, dass Palonosetron der überlegene
Rezeptorantagonist beim CRC unter Verwendung des moderat-emetogenen FOLFIRI-Schemas ist
(Hesketh P et al. Supp Care Cancer 2011;19:2063-6; Hesketh P et al. Supp Care Cancer 2012;20:1043-7).
Eine weitere Studie mit dem ebenfalls sehr gebräuchlichen FOLFOX-Schema demonstriert, dass sich mit
der Einmalgabe von Palonosetron in Kombination mit Dexamethason bei 96% der Patienten ein komplettes
Ansprechen (keine Emesis und Nausea) an den Therapietagen 1 bis 5 erzielen lässt
(Giuliani F et al. Eur J Cancer 2008;6(14):102-6). Dementsprechend empfehlen alle aktuellen
Leitlinien der international führenden Fachgesellschaften ASCO, MASCC und NCCN zur antiemetischen
Prophylaxe bei CRC Palonosetron in Kombination mit Dexamethason am Therapietag 1. „Nur indem wir
unsere Patienten adäquat supportiv versorgen, ermöglichen wir ihnen während der Tumortherapie eine
gute Lebensqualität“, bekräftigte Lorenzen abschließend.
Neutropenieprophylaxe in der Praxis – ein Projekt der ASORS
Die Arbeitsgemeinschaft "Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilitation und Sozialmedizin"
der Deutschen Krebsgesellschaft (ASORS) hat unter der wissenschaftlichen
Leitung von Professor Dr. med. Hartmut Link eine Patientendokumentation durchgeführt, die
erfasst, wie die Neutropenieprophylaxe im „therapeutischen Alltag“ durchgeführt wird und
inwieweit die Leitlinien in der Praxis befolgt werden. In dieser retrospektiven epidemiologischen
Erhebung bei den Indikationen Mammakarzinom, Bronchialkarzinom und maligne Lymphome wurden
insgesamt die Daten von knapp 2000 Patienten aus Kliniken und Praxen erfasst. „Es zeigte sich,
dass viele Patienten, die laut Leitlinien unbedingt eine Primärprophylaxe mit G-CSF erhalten
sollten“, diese nicht bekommen“, kommentierte Link die ersten ausgewerteten Ergebnisse. Dieser
Effekt war besonders ausgeprägt bei Patienten mit einem Bronchialkarzinom. Im weiteren Verlauf
der Auswertung soll nun auch nach den Gründen für die mangelhafte Befolgung der Leitlinien
gesucht werden. Die endgültigen Ergebnisse dieser interessanten Untersuchung werden beim
ASORS-Jahreskongress am 12./13.04.2013 in Berlin vorgestellt. Quelle: Fachpresseworkshop "Supportiv Therapie" am 8. November 2012 in München. * Mit freundlicher Unterstützung von Amgen GmbH, Medac GmbH, Riemser Arzneimittel AG
Januar 2013 |
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Literaturreferate
Capecitabin zu Anthrazyklin- und Taxan-basierter neoadjuvanter Therapie bei primärem Brustkrebs
Paclitaxel dosisdicht bei fortgeschrittenem Ovarialkrebs