Zusammenfassung
Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen sind zwar selten, leider gibt es jedoch nur
wenige zugelassene Medikamente für die Supportivtherapie, da die Studien meist bei Erwachsenen
über 18 Jahren durchgeführt werden, bemängelte der pädiatrische Onkologe Prof. Heribert Jürgens,
Münster. Umso wichtiger ist die Veröffentlichung der ersten großen, internationalen Studie zum
Einsatz eines Neurokinin1-Rezeptorantagonisten (NK1-RA) bei Kindern und Jugendlichen. Die
Hinzunahme des NK1-RA Aprepitant (Emend®) zur Standardantiemese mit Ondansetron +/- Dexamethason
führte bei den mit moderat oder hoch emetogener Chemotherapie behandelten pädiatrischen Patienten
zu einer signifikanten Verminderung des akuten und verzögerten Erbrechens. In der verzögerten
Phase und im Gesamtrisikozeitraum kam es zu einer Verdoppelung des kompletten Ansprechens auf
die antiemetische Prophylaxe. Chemotherapie-induzierte Polyneuropathien (CIPN) sind eine
unangenehme Nebenwirkung vieler moderner antineoplastischer Substanzen. Häufig über längere
Zeiträume persistierend, kann die CIPN die Lebensqualität der betroffenen Patienten stark
einschränken, führte der Neuroonkologe Prof. Herwig Strik, Marburg, aus. Da die CIPN nicht
kausal verhindert oder behandelt werden kann, ist eine sorgfältige Einstufung und Verlaufsuntersuchung
besonders wichtig, um bei CIPN größer-gleich Grad 3 mit einer Dosisreduktion oder Therapiepause
reagieren zu können. Lokale Maßnahmen und Neuroleptika können die Beschwerden zumindest teilweise
lindern. Ein bei Tumorpatienten häufiges Symptom ist die tumor- oder therapiebedingte Anämie.
Sie führt zu Schwäche und Erschöpfung (Fatigue) und beeinträchtigt die Patienten in ihrem
Alltag erheblich. Zur Behandlung einer Chemotherapie-induzierten symptomatischen Anämie stehen
neben Transfusionen Erythropoese-stimulierende Agenzien wie Darbepoetin alfa (Aranesp®)
zur Verfügung. Bei Beachtung der internationalen Leitlinien und strenger individueller
Indikationsstellung vermindern sie die Anämie und erhöhen die Lebensqualität von Tumorpatienten,
sagte Prof. Hartmut Link, Hämatologe und Onkologe aus Kaiserslautern. Mehr Mut zum Einsatz
von Cannabinoiden in der Palliativmedizin forderte der Palliativ- und Rehabilitationsmediziner
Prof. Andreas Lübbe, Bad Lippspringe. Ziel der palliativmedizinischen Betreuung, wenn eine
aktive onkologische Behandlung nicht mehr möglich oder nicht mehr sinnvoll ist, ist die
bestmögliche Behandlung belastender Symptome zusammen mit einer psychosozialen Begleitung.
Cannabinoide können als ein Baustein in der palliativmedizinischen Behandlung der oft als
Symptomcluster auftretenden Beschwerden genutzt werden. Für Tetrahydrocannabinol (Dronabinol)
in Form einer Rezeptur gibt es mehrere sinnvolle Anwendungsgebiete zur Linderung von
Beschwerden unheilbar erkrankter Patienten, wie zum Beispiel Übelkeit oder Appetitlosigkeit.
Intensive Chemotherapieprotokolle bei Kindern erfordern hocheffektive Antiemese
Über 80% der Kinder und Jugendlichen mit bösartigen Erkrankungen können heute geheilt werden.
Möglich wurde diese sehr hohe Gesamtheilungsrate, die bei manchen Tumorarten sogar noch übertroffen
wird, vor allem durch eine Intensivierung der angewendeten Therapiekonzepte und Chemotherapieprotokolle.
"Dennoch wurde nie ein Schema direkt für die pädiatrische Onkologie entwickelt, wir mussten uns auf
Studienergebnisse, die bei erwachsenen Patienten erzielt wurden, verlassen", berichtete
Prof. Heribert Jürgens, Münster. Für die in der pädiatrischen Onkologie eingesetzten zumeist
hoch emetogenen Chemotherapieschemata ist eine wirksame Prophylaxe von Übelkeit und Erbrechen
essentiell. Kinder erbrechen unter Chemotherapie wesentlich häufiger als Erwachsene.
Bis Anfang der 1990er Jahre gab es so gut wie keine Möglichkeit, den Kindern diese
Nebenwirkungen zu ersparen. Bis zu dreißigmal Erbrechen an einem Tag war keine Seltenheit,
berichtete Jürgens. Einem Paradigmenwechsel kam daher die Einführung des ersten
5-HT3-Rezeptorantagonisten Ondansetron auch für Kinder bereits Anfang der 1990er Jahre
gleich, der viele kurative, mehrere Wochen andauernde hoch emetogene Chemo- und
Radiochemotherapieschemata für die kleinen Patienten erträglich und damit durchführbar
machte.
Dreifachantiemese mit Aprepitant verbessert Antiemese bei Kindern signifikant
Dennoch war mit dieser Prophylaxe das Problem Chemotherapie-induzierte Übelkeit und
Erbrechen (CINV) nicht zur Gänze gelöst, konstatierte Jürgens. Vor diesem Hintergrund bezeichnete
er die soeben publizierte internationale Studie zum zusätzlichen Einsatz des NK1-RA Aprepitant
bei mit moderat (MEC) oder hoch emetogener Chemotherapie (HEC) behandelten Kindern und Jugendlichen
als einen weiteren kleinen Meilenstein (1). "In der Erwachsenen-Onkologie ist die Prophylaxe mit
Aprepitant, Setron und Dexamethason selbstverständlich und bei hoch emetogenen Chemotherapien
in allen Leitlinien empfohlen. Die pädiatrische Onkologie hinkt wie immer hinterher. Nach der
Erstzulassung von Aprepitant im Jahr 2003 folgt nun eine qualitativ hochwertige Studie, die
erstmals valide Evidenz für uns Kinder-Onkologen schafft." In die internationale, randomisierte,
doppelblinde Phase-III-Studie von Kang et al. waren 307 Kinder und Jugendliche mit verschiedenen
Malignomen, die eine MEC oder HEC erhielten, im Alter von 6 Monaten bis 17 Jahren eingeschlossen.
Sie erhielten entweder Aprepitant oder Placebo plus Ondansetron am Tag 1, gefolgt von Aprepitant
oder Placebo an den Tagen 2 und 3. Die Dosierung wurde dabei altersgemäß modifiziert, eine
Dexamethason-Gabe war optional. "Aprepitant erwies sich in der Studie als Schlüsselsubstanz.
Durch seine Hinzunahme hat sich die Häufigkeit des Chemotherapie-induzierten Erbrechens in
der verzögerten Phase und im Gesamtzeitraum um etwa ein Drittel reduziert", konstatierte Jürgens.
Die Erhöhung der Komplettansprechrate (Complete Response, CR: kein Erbrechen, keine Notfallmedikation)
war in allen Phasen nach der Chemotherapie signifikant, in der verzögerten Phase (Tag 2-5 nach
Chemotherapie) und im Gesamtzeitraum (Tag 1-5) war der Unterschied sogar hochsignifikant.
In der verzögerten Phase sprachen 51% der mit Aprepitant behandelten Kinder komplett auf die
Antiemese an gegenüber 26% der mit Ondansetron + Placebo +/- Dexamethason therapierten Kinder (p<0,0001).
Überhaupt nicht erbrechen mussten in der verzögerten Phase 55% der Patienten in der Aprepitant-Gruppe
gegenüber 28% in der Placebo-Gruppe (p%#880;4 0,0001). Ähnlich überzeugend waren die Ergebnisse
im Gesamtzeitraum: Hier sprachen 40% der Kinder in der Aprepitant-Gruppe komplett auf die
antiemetische Prophylaxe an, aber nur 20% in der Placebo-Gruppe (p=0,0002). Zusätzliche
Nebenwirkungen traten dabei nicht auf. Die häufigsten unerwünschte Wirkungen waren (febrile)
Neutropenie und Anämie, die jedoch durch die Chemotherapie bedingt waren, so Jürgens.
"Nur durch die Verbesserung der Supportivtherapie wurde die notwendige Intensivierung der
Chemotherapien möglich. Diese große klinische Studie hat Auswirkungen auf unser tägliches
klinisches Handeln und schafft endlich valide Evidenz für uns Therapeuten und für die
Erstellung von Leitlinien für die antiemetische Prophylaxe bei Kindern", resümierte
Jürgens. Die Zulassung von Aprepitant bei pädiatrischen Patienten wird für Ende 2015
erwartet.
Moderne Chemotherapeutika führen häufig zu Polyneuropathien
"Je länger unsere Patienten überleben, umso mehr treten Therapie-induzierte Nebenwirkungen
in den Vordergrund. Dabei fällt auf, dass heute etwa ein Drittel der Tumorpatienten eine
Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie (CIPN) erleidet", konstatierte Prof. Herwig Strik,
Marburg. Besonders problematisch seien neben der Einschränkung der Lebensqualität der
Patienten die Dosisreduktionen und Therapiepausen, die durch die CIPN notwendig werden
können. Definiert ist die Polyneuropathie (PNP) als eine Schädigung multipler peripherer
Nerven durch endogene oder exogene Noxen, wie sie beispielsweise durch Diabetes, entzündliche
Erkrankungen sowie bestimmte Chemotherapeutika hervorgerufen werden kann. Meist kommt es zu
einer symmetrischen Schädigung peripherer sensibler, motorischer oder autonomer Nerven.
Während bei der motorischen Neuropathie muskuläre Schwäche und Muskelatrophien auftreten,
äußert sich die sensible Chemotherapie-induzierte Neuropathie meist durch Taubheitsgefühle
in Zehen und Fingerspitzen, Kribbelparästhesien und brennende oder stechende Schmerzen.
Diese werden auch als periphere Neuropathie bezeichnet. "Die Beschwerden sind vor allem
nachts, also in einer reizarmen Umgebung, quälend“, berichtete Strik. Einfache Untersuchungen
und eine Befragung der Patienten seien bei der Diagnostik zielführend, so Strik weiter.
Bei der klinischen Diagnostik kann die Prüfung der Oberflächensensibilität mittels eines
Pinsels, die Prüfung der Muskeleigenreflexe mit dem Reflexhammer und die Prüfung des
Vibrationsempfindens mit einer Stimmgabel erfolgen. Ausprägung, Stärke und Verlauf der
CIPN ist substanz- und dosisabhängig. Zu den neurotoxischen Chemotherapeutika gehören
Vinca-Alkaloide, Platinverbindungen sowie Taxane, aber auch Bortezomib und Thalidomid.
Zwar sind die Symptome nach Therapieende meist reversibel, jedoch können auch längere
Verläufe auftreten, wie sie beispielsweise bei mit Oxaliplatin behandelten Patienten
beobachtet werden.
Periphere Neuropathien (PNP) unter Taxanen sind dosisabhängig und meist reversibel
Taxane gehören zu den häufigsten bei Mammakarzinomen eingesetzten Zytostatika und führen
je nach Substanz, Dosierung und Schema unterschiedlich häufig zu peripheren Neuropathien.
In der Regel bilden sich diese bereits während oder spätestens nach Ende der Chemotherapie
wieder zurück. In der aktuell noch laufenden GeparSepto-Studie wird neoadjuvant
verabreichtes nab-Paclitaxel mit konventionellem Paclitaxel bei unvorbehandelten
Mammakarzinompatientinnen verglichen. Die erste Zwischenauswertung ergab, dass
nab-Paclitaxel signifikant wirksamer war als das lösungsmittelbasierte konventionelle
Paclitaxel. Die Rate an pathologischen Komplettremissionen (pCR) aller Patientinnen
war mit 38% vs. 29% und die pCR-Rate bei Patientinnen mit tripelnegativen Tumoren
war mit 48,2% vs. 25,7% signifikant höher unter nab-Paclitaxel (2). "Allerdings
führte die anfangs verabreichte wöchentliche Dosis von 150 mg/m² nab-Paclitaxel
zu höheren PNP-Raten als wöchentlich 80 mg/m² konventionelles Paclitaxel", kommentierte
Strik. Er verwies aber auch auf den beobachteten Rückgang der Neurotoxizität nach einer
Reduktion der Dosis auf 125 mg/m². Strik erklärte: "Bei nab-Paclitaxel haben die
Dosisregime einen deutlichen Einfluss auf das Auftreten sensorischer Neuropathien".
So hatte eine Dosis von 260 mg/m² alle 3 Wochen zu einer Rate an Grad 3 sensorischen
Neuropathien von 10% geführt (3) , bei einer Erhöhung der Dosis auf 300 mg/m² wurden
21% an Grad 3 sensorischen Neuropathien beobachtet (4). Bei den wöchentlich verabreichten
Therapieschemata führten 150 mg/m² nab-Paclitaxel bei 22% der Patienten zu Grad 3 Neuropathien,
die im Median nach 162 Tagen Therapie einsetzten. Bei Reduktion der Dosis auf 100 mg/m²
wöchentlich kam es nur bei 9% der Patienten zu Grad 3 Neuopathien, die im Median nach 189
Tagen eintraten (5).
Sorgfältiges Monitoring kann hochgradige Neuropathien vermeiden
Bis heute existieren weder Möglichkeiten zur Prophylaxe noch zur kausalen Therapie
der CIPN. "Die sogenannten Minussymptome, was Patienten also nicht mehr fühlen, sind
leider nicht therapierbar. Die Plussymptome, also die Schmerzen oder das Kribbeln,
können wir zu einem gewissen Grad behandeln", fasste Strik zusammen. Verschiedene
Studien haben Hinweise auf eine Reduktion der Schmerzsymptomatik durch Duloxetin
geliefert. "Eine absolute Schmerzfreiheit ist allerdings nicht möglich. Angestrebt
werden sollte eine Schmerzreduktion um mindestens 1/3 und die Ermöglichung des
Nachtschlafs", sagte Strik. Da nur eine symptomatische Therapie möglich sei,
seien das Monitoring eventuell auftretender Symptome und ein adäquates Dosismanagement
umso wichtiger, um höhergradige Neuropathien zu verhindern. "Ein Problem im Alltag
ist die Einteilung der Schweregrade. Schärfere Definitionen der Schweregrade, die
in der täglichen Praxis verlässliche Anhaltspunkte bieten, wären ein wichtiges
Instrument zur Prävention", schloss Strik.
Symptomatische Anämien bei Tumorpatienten – wann und wie behandeln?
Anämien bei Tumorpatienten, ausgelöst durch die Krebserkrankung selbst oder eine Chemo-oder
Radiotherapie, sind häufig, berichtete Prof. Hartmut Link, Kaiserslautern. Allerdings wird
eine Anämie nicht immer gleich erkannt, da ihre Symptome oft der Tumorerkrankung selbst
zugeschrieben werden. Eine Anämie schränkt nicht nur die Lebensqualität der Patienten
deutlich ein, sondern sie ist auch an der Entstehung eines Fatiguesyndroms ursächlich
beteiligt. Zudem ist sie bei Krebserkrankungen nachgewiesenermaßen ein negativer
prognostischer Faktor für das Gesamtüberleben (6). Die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten
zur Therapie der Anämie wertete Link ausgesprochen kritisch: "Transfusionen sind nicht harmlos.
Die Zahl der Publikationen, die negative Auswirkungen von Transfusionen zeigen, mehrt sich".
Neben Risiken wie Eisenüberladung, transfusionsbedingter Immunsuppression und der Übertragung
von Infektionen zeigten mehrere Metaanalysen einen Anstieg der Krankenhaus-assoziierten
Mortalität und Gesamtmortalität sowie häufigere Nachblutungen nach Operationen, akute
Koronarsyndrome, Lungenödeme und bakterielle Infektionen (7,8,9). Link empfahl daher
einen restriktiven Einsatz von Transfusionen und wies darauf hin, dass ein niedriger
Trigger-Hb-Wert von 7 g/dl für die Indikationsstellung zur Transfusion keine Verschlechterung
der klinischen Situation der Patienten bedeute (10).
Erythropoese stimulierende Agenzien - bei strenger Indikationsstellung überwiegt der Nutzen für Tumorpatienten
Zur Behandlung der symptomatischen Chemotherapie-induzierten Anämie stehen Erythropoese-stimulierende
Agenzien (ESA) wie Darbepoetin alfa zur Verfügung. "Mehrere Metaanalysen haben den Effekt von ESA auf
das Gesamtüberleben von Krebspatienten untersucht. Bei den mit Chemotherapie behandelten Patienten
ergaben sich im Unterschied zu mit Radiotherapie behandelten Patienten und Patienten ohne Krebstherapie
jedoch keine signifikanten Auswirkungen auf das Gesamtüberleben", erläuterte Link. Insgesamt ist die
Studienlage zum Überleben von mit ESA behandelten anämischen Tumorpatienten uneindeutig, so auch eine
Metaanalyse bei Mammakarzinompatientinnen und ESA-Therapie (11). Eine auf dem letzten San Antonio
Breast Cancer Symposium vorgestellte kontrollierte Studie bei 2089 Patientinnen mit metastasiertem
Mammakarzinom (12) habe keine statistisch signifikanten oder klinisch relevanten Unterschiede
gezeigt, erläuterte Link. "Bezüglich des progressionsfreien und Gesamtüberlebens ergeben alle
bisher durchgeführten Metaanalysen zur ESA-Therapie nach Chemotherapie keine signifikanten Unterschiede",
fasste Link zusammen. Wichtig sei die genaue Beachtung der Leitlinien sowie die sorgfältige Überprüfung
der Indikation im Einzelfall. Derzeit werden die Leitlinien der ESMO überarbeitet. Auch die
Arbeitsgemeinschaft Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilitation und Sozialmedizin (ASORS)
der Deutschen Krebsgesellschaft erarbeitet derzeit aktuelle Leitlinien, deren Fertigstellung für
2016 geplant ist. "Die derzeitigen Empfehlungen lauten, dass ESA bei Anämiebeschwerden von
Chemotherapiepatienten ab einem Hämoglobinwert von 10 g/dl und weniger gegeben werden können.
Bei Bedarf und nachgewiesenem funktionellem Eisenmangel soll zusätzlich zu ESA eine intravenöse
Eisensubstitution erfolgen, um dem funktionellen Eisenmangel zu begegnen. Außerdem kann so das
hämatopoetische Ansprechen verbessert werden", fasste Link den derzeitigen Kenntnisstand zusammen.
Cannabinoide in der onkologischen Palliativmedizin – Linderung verschiedener Symptomcluster
"Wir machen am Lebensende medizinisch zu viel. Wir Ärzte müssen unsere Grenzen kennen und Übertherapien
bei unheilbar erkrankten Patienten vermeiden", konstatierte Prof. Andreas Lübbe. Zielsetzung der
Palliativmedizin sei eine würdevolle Betreuung am Lebensende. Dazu gehöre es, vorhandene Ressourcen
zu mobilisieren, den Patienten zu einem möglichst vollständigen Leben zu verhelfen und belastende
Symptome, in deren Mittelpunkt meist Schmerzen stehen, so gut wie möglich zu kontrollieren. Ein
häufig auftretendes Symptomcluster sind die eating-related disorders, also der Bereich (Mangel-)
Ernährung/Nahrungsverwertung/Übelkeit und Erbrechen. Beim Kachexiesyndrom kann der Körper aufgrund
einer systemischen Entzündungsreaktion die aufgenommenen Amino- und Fettsäuren sowie Monosaccharide
nicht mehr verwerten. Eine künstliche Kalorienzufuhr ist daher sinnlos. „Eine Anregung des Appetits
jedoch kann sinnvoll sein, denn das Geschmackserlebnis alleine kann für den Patienten wichtig sein
und das Wohlbefinden steigern“, kommentierte Lübbe. Zur medikamentösen Behandlung der Anorexie stehen
verschiedene Substanzen wie Kortikosteroide oder Cannabinoide zur Verfügung. "Zum Einsatz von
Cannabinoiden liegen sehr gute Daten und Evidenzen vor, aber es gibt kaum praktische Erfahrungen,
deswegen werden sie von Ärzten in Deutschland nur sehr zurückhaltend eingesetzt", erläuterte Lübbe,
der die Behandlung von Patienten mit Anorexie und Kachexie zur Anregung des Appetits und zur
Steigerung des Geschmackserlebnisses als eine Indikation für Cannabinoide bezeichnete. Er
verwies in diesem Zusammenhang auf die Steigerung des Wohlbefindens wie sie eine randomisierte,
doppelblinde und Placebo-kontrollierte Studie nachgewiesen hatte (13). "Dronabinol scheint im
Körper auch die Bewertung von Schmerz und das Schmerzgedächtnis zu verändern. Wir setzen Dronabinol
häufig als Koanalgetikum ein, wenn Opiate ihre Wirkung verlieren oder wenn gleichzeitig weitere
mit Dronabinol therapierbare Symptome wie Dysphorie, Anorexie, Spastizität oder Schlafstörungen
hinzukommen. Ich sehe in der Palliativmedizin definitiv Indikationen für den Einsatz von Cannabinoiden".
Dronabinol in Deutschland als Rezeptursubstanz verordnungsfähig
Der derzeit therapeutisch wichtigste Wirkstoff der Cannabispflanze ist Dronabinol, das in den
USA seit 1986 als Fertigarzneimittel (Marinol) zur Behandlung der Appetitlosigkeit bei
Gewichtsverlust von AIDS-Patienten sowie von Chemotherapie-induzierter Übelkeit und Erbrechen
zugelassen ist. Aufgrund der wissenschaftlich gezeigten therapeutisch nutzbaren Eigenschaften
ist Dronabinol in Deutschland seit 1998 als für medizinische Zwecke verordnungsfähiger Wirkstoff
klassifiziert. Neben seinen appetitanregenden und antiemetischen Eigenschaften ist Dronabinol
auch antiphlogistisch, anxiolytisch, sedierend, analgetisch und vor allem muskelrelaxierend
wirksam. Als Rezepturarzneimittel kann Dronabinol in Deutschland bei jedem Krankheitszustand
eingesetzt werden, bei dem sich der behandelnde Arzt einen Erfolg verspricht. Die Verordnung
sollte allerdings im Vorfeld mit den Kassen abgeklärt werden. "In vielen Fällen wird die
Kostenübernahme abgelehnt, die Einfuhr des dreimal teureren US-Präparats wird aber definitiv
nicht von den Kassen bezahlt und beim Konsum von selbst angebautem Cannabis ist die Titrierung
der Dosis ein großes Problem", warnte Lübbe.
Kaum Risiken bei sachgemäßer Anwendung
Lübbe bewertete die sachgemäße Anwendung von Dronabinol als ebenso sicher wie die der Opiate.
Beide Substanzen seien in Bezug auf die Organtoxizität absolut sicher. Unter beiden Substanzen
entwickelten viele Patienten in den ersten Stunden Symptome wie Dysphorie und Übelkeit, die
sich jedoch innerhalb von 2-3 Tagen besserten. Wichtig sei die langsame Auftitrierung,
beginnend mit 2-mal 0,83-2,5 mg/d der öligen Lösung auf einem Stück Zucker oder Brot. Die
Lösung kann auch in eine Kapsel abgefüllt und so eingenommen werden. Die angestrebte Dosis
bezifferte Lübbe mit 5-20 mg/d. Der als unerwünschte Wirkung häufig auftretende Schwindel
sei gut behandelbar und bessere sich meist nach 2-3 Tagen.
Für ein gutes Ende
Was Palliativmedizin in der Praxis bedeutet und wozu sie in der Lage ist, zeigt Lübbes neues Buch "Für ein gutes Ende – Von der Kunst, Menschen in ihrem Sterben zu begleiten", ein Hintergrundbericht über das Leben auf einer Palliativstation (14). Jeder zweite erwachsene Deutsche lebt allein, was insbesondere im höheren Lebensalter ein Problem darstellt. Viele Menschen haben Angst vor einem Ende im Krankenhaus, bei dem sie trotz quälender Schmerzen oder anderer Symptome am Leben gehalten werden. Trotzdem sterben nur 15% zu Hause. Selbstbestimmtes Sterben mittels Sterbehilfe, verstanden als Beihilfe zum Suizid oder Tötung auf Verlangen, wird heute von vielen Menschen als Teil ihrer Autonomie und ihres Selbstbestimmungsrechts verstanden und scheint auch für immer mehr Mediziner ein legitimer Ausweg zu sein. Im Gegensatz zu dem in den Medien mit der Bedeutung der willentlichen Herbeiführung des Todes besetzten Begriffs, meint Sterbehilfe für Lübbe jedoch die Begleitung während der Zeit des Sterbens. "Neben der Symptomkontrolle ist es eine Aufgabe der Palliativmedizin, denen, die nicht mehr länger leben können, zu helfen, zur rechten Zeit zu sterben, nicht zu früh und nicht zu spät. Denen, die im Sterben liegen, wollen wir helfen, mit Würde und in Frieden zu sterben", fasste Lübbe zwei Grundsätze der Palliativmedizin zusammen. Den natürlichen Gang der Erkrankung beeinflussende Interventionen sollten bei unheilbar kranken Menschen nicht mehr erfolgen. Als letzte, extrem selten eingesetzte Möglichkeit steht die palliative Sedierung, bis der Tod des Patienten u.a. durch Nahrungsmangel einsetzt, zur Verfügung. Palliativmedizin sei jedoch keine Sterbemedizin und sie bedeute nicht nur Symptomkontrolle, erklärte Lübbe.
Literaturhinweise: Mascha Pömmerl, Feldkirchen-Westerham
Quelle: Fachpresse-Workshop der POMME-med GmbH „Supportive Therapie und Palliativmedizin 2015 – aktuelle Herausforderungen“ am 26. März 2015 in München
Gemeinsame Sponsoren: Amgen GmbH, BIONORICA ETHICS GmbH, Celgene GmbH, MSD Sharp & Dohme GmbH
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pii: S1470-2045(15)70061-6. doi: 10.1016/S1470-2045(15)70061-6. [Epub ahead of print]
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Erfahrungen auf einer Palliativstation. Wilhelm Heyne Verlag, München 2014
Mai 2015 |
Literaturreferate
Capecitabin zu Anthrazyklin- und Taxan-basierter neoadjuvanter Therapie bei primärem Brustkrebs
Paclitaxel dosisdicht bei fortgeschrittenem Ovarialkrebs