Die Lymphgefäße sind das Drainagesystem des menschlichen Körpers. „Früher dachte man,
dass das Körperwasser mehr oder weniger ungeordnet abfließt, und es dem Zufall
überlassen ist, welchen Lymphknoten die Tumorzellen als erstes befallen“, erklärt
Privatdozent Dr. med. Sherko Kümmel, Leiter des Interdisziplinären Brustzentrums
der Kliniken Essen-Mitte. „Heute wissen wir, dass die Lymphgefäße ein geregeltes
Kanalisationssystem sind, und die Lymphe aus einer Körperregion immer über den
gleichen Lymphknoten gefiltert wird.“
Daraus entstand das Konzept des Sentinel- oder Wächterlymphknotens. Durch die
Entfernung eines einzelnen Lymphknotens und seine Untersuchung durch den Pathologen
können die Mediziner feststellen, ob der Tumor bereits erste Metastasen gebildet hat.
„Diese Kenntnis bestimmt heute wesentlich das weitere Vorgehen“, sagt Privatdozent
Kümmel. „Wenn der Sentinel-Knoten nicht oder nur in geringem Grad krebsbefallen ist,
kann auf die Entfernung weiterer Lymphknoten verzichtet werden.“
Beim Brustkrebs gehört der Nachweis der Wächter-Lymphknoten heute zum Behandlungsstandard.
Die Vorteile dieses Vorgehens liegen auf der Hand. „Die Struktur des Lymphsystems bleibt
so nach der Operation weitestgehend erhalten und die früher häufigen Lymphödeme des
Armes treten in der Behandlung des Mammakarzinoms nur noch selten auf“, erläutert Kümmel.
„Diese verhältnismäßig kleine Änderung im Behandlungskonzept hat vielen Frauen geholfen,
ihre Lebensqualität nach der Operation zu erhalten. Schmerzhafte, teigig geschwollene
Arme treten nach Entfernung einzelner Wächter-Lymphknoten wesentlich seltener auf.“
Doch die Sentineltechnik wird zunehmend auch bei anderen Tumoren der weiblichen
Geschlechtsorgane – von der Vulva über die Zervix bis zur Gebärmutter – eingesetzt.
Anfangs wurden die Wächter-Lymphknoten durch Einspritzen eines Farbstoffs markiert,
der die Lymphgefäße sich auf der Haut abzeichnen ließ. „Die Darstellbarkeit der
Wächter-Lymphknoten war mit dieser Technik allerdings nicht zuverlässig genug,
und bei Krebserkrankungen an der Zervix oder der Gebärmutter führt diese Methode
überhaupt nicht zum Ziel“, erläutert Professor Dr. med. Andreas du Bois, Direktor
der Gynäkologie und gynäkologischen Onkologie an den Kliniken Essen-Mitte.
Entscheidende Verbesserungen wurden erreicht, als die Untersuchung – wie heute üblich –
zusammen mit einem Nuklearmediziner durchgeführt wurde. Dabei spritzt der
Nuklearmediziner statt eines Farbstoffs einen radioaktiv markierten Tracer
ins Lymphsystem, um die nächstgelegenen Lymphknoten in der Nähe des Tumors
zu identifizieren. „Durch die abgegebene Strahlung sind die Wächterlymphknoten
überall im Körper erkennbar“, so du Bois.
Nuklearmediziner verfügen dabei über mehrere Möglichkeiten, die Lymphknoten
sichtbar zu machen. Bei oberflächlichen Tumoren gelingt der Nachweis mit einer
Szintigraphie, die den Lymphknoten zweidimensional wie auf einer Landkarte
abbildet. Ein SPECT genanntes Verfahren ermöglicht eine dreidimensionale
Ortung im Körper. In modernen Geräten wird SPECT mit einer Computertomographie
kombiniert. Der Chirurg kann dann sehen, welche anatomischen Strukturen sich
in der Nachbarschaft befinden. Während der Operation kann er eventuell mit
einer Gamma-Kamera feststellen, ob er den richtigen Lymphknoten entfernt hat.
Die Untersuchung ist für die Patientin ungefährlich. „Die Strahlenmenge ist
gering und die Tracer werden nach kurzer Zeit mit dem Urin oder dem Stuhl
aus dem Körper wieder ausgeschieden“, erläutert der BDN-Experte Dr. med. Norbert Czech.
Czech N. 2015. Das Sentinel-Lymphknotenkonzept beim Mammakarzinom und anderen gynäkologischen Tumoren. Nuklearmediziner 38(01):34-39.
Quelle: Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner e.V. November 2015
Literaturreferate
Capecitabin zu Anthrazyklin- und Taxan-basierter neoadjuvanter Therapie bei primärem Brustkrebs
Paclitaxel dosisdicht bei fortgeschrittenem Ovarialkrebs