Bevacizumab ist in der Europäischen Union mittlerweile in sechs Indikationen zugelassen. Nach der
Erstzulassung für Patienten mit fortgeschrittenem Kolorektalkarzinom im Jahr 2005 folgten
Zulassungserweiterungen für die Behandlung des fortgeschrittenen Mamma-, Ovarial-, nicht-kleinzelligen
Bronchial- und Nierenzellkarzinoms. Seit März 2015 ist der VEGF-Antikörper zudem zur Behandlung von
Frauen mit fortgeschrittenem Zervixkarzinom zugelassen [2].
Welchen Stellenwert Bevacizumab in der Behandlung hat, erläuterten Experten im Rahmen eines
Pressegesprächs der Roche Pharma AG in Berlin an den Beispielen der Therapie des metastasierten
Kolorektalkarzinoms (mCRC) sowie des Ovarial- (OC) und Zervixkarzinoms (CC).
Intelligentes „Continuum of Care“ statt isolierte First-Line-Therapie
Um das Überleben der Patienten zu verlängern und ihre Lebensqualität bestmöglich zu erhalten, wird
bei der Behandlung des mCRC das Konzept streng abgegrenzter Therapielinien mehr und mehr durch ein
individuelles „Continuum of Care“ ersetzt. „Mit ‚Continuum of Care‘ ist eine Betreuung der mCRC-Patienten
über alle Behandlungsphasen hinweg gemeint, die alle verfügbaren Therapieoptionen ausschöpft“,
erklärte Prof. Dr. Dirk Arnold, Ärztlicher Direktor der Klinik für Internistische Onkologie an der
Klinik für Tumorbiologie in Freiburg. Dies betreffe die optimale Ausnutzung der Optionen der
systemischen Therapie, aber auch die frühe und konsequente Integration der ablativen Verfahren bzw.
Metastasenresektion bei dafür geeigneten Patienten und die Optimierung und frühe Berücksichtigung
der Palliativmedizin. Bei der Systemtherapie hätten zielgerichtete Substanzen zu einem wahren
Para-digmenwechsel geführt, da sie die Effektivität der Chemotherapie maßgeblich erhöhten. „Es
kommt allerdings nicht nur auf die Wahl der richtigen Substanzen an, sondern auch auf die
Therapiezielset-zung und Therapiedauer“, so Prof. Dr. Arnold weiter. Im Rahmen einer solchen
intelligenten und lang-fristigen Behandlungsstrategie komme dem etablierten VEGF-Antikörper Bevacizumab
aufgrund seiner vielfältigen Einsatzmöglichkeiten in den verschiedenen Therapielinien eine bedeutende
Rolle zu.
Die Strategie der kontinuierlichen Behandlung mit Bevacizumab über Therapielinien hinweg, mit
verschiedenen Chemotherapie-Kombintionen, wird auch als „Treatment through Multiple Lines“ (TML)
bezeichnet und beruht auf den Ergebnissen der ML18147-Studie [14]. In der Phase-III-Studie erhielten
Patienten Bevacizumab als First-Line-Therapie, kombiniert mit einer Oxaliplatin- oder
Irinotecan-basierten Chemotherapie. Nach Progression wurde entweder Bevacizumab in der
Second-Line weitergegeben bei gleichzeitigem Wechsel der Chemotherapie oder eine alleinige
Chemotherapie verabreicht. Mit der Fortführung der Bevacizumab-Therapie ließ sich in der
Zweitlinie das mediane OS signifikant um knapp 20% verlängern (mediane Überlebenszeiten: 9,8 vs. 11,2 Monate;
HR=0,81; p=0,0062) [14].
Darüber hinaus ist Bevacizumab beim mCRC mit jedem zugelassenen Chemotherapie-regime,
in unterschiedlichen Therapieintensitäten, flexibel kombinierbar [3-6, 8, 9].Beispielhaft
für den flexiblen Einsatz stehen die Ergebnisse zweier Studien, die die Wirksamkeit des
Antikörpers in der intensivierten und moderaten Therapie beschreiben. So zeigten die
Patienten, die im Rahmen der TRIBE-Studie mit Bevacizumab/FOLFOXIRI behandelt
wurden, ein signifikant verlängertes medianes PFS von 9,7 auf 12,3 Monate (HR=0,77; p=0,006)
sowie OS von 25,8 auf 29,8 Monate (HR=0,8; p=0,03) gegenüber den mit der Standardtherapie
Bevacizum-ab/FOLFIRI behandelten Patienten [8]. Andere Studien haben die Nutzen bei weniger
intensiven Schemata untersucht, und dabei den Nutzen gerade auch für ältere Patienten mit
(relativen) Kontraindikationen gegen eine Kombinationschemotherapie bestätigt [9, 10]. In der
First-Line-Therapie konnte die randomisierte AVEX-Studie beispielsweise mit Capecitabin und
Bevacizumab eine Verlängerung des PFS von älteren mCRC-Patienten (Ͱ5 70 Jahre) von 5,1 auf
9,1 Monate (HR=0,53; p<0,0001) gegenüber der Mono-Chemotherapie mit Capecitabin zeigen,
ohne maßgebliche zusätzliche Toxizität.
In Bezug auf die aktuelle Auswertung der randomisierten Head-to-Head-Studie CALGB-80405
betonte Prof. Dr. Arnold, dass die First-Line-Therapie mit Bevacizumab oder dem EGFR-Antikörper
Cetuximab in Kombination mit einer Chemotherapie (FOLFOX/FOLFIRI) bei Patienten mit einem
all-RAS Wildtyp ein vergleichbar langes OS erzielt (31,2 vs. 32,0 Monate; HR=0,9; p=0,4) [6, 7].
„Damit können bei diesen Patienten beide Antikörper gleichermaßen als First-Line-Therapie
eingesetzt werden“, resümierte Prof. Dr. Arnold. Den First-Line-Einsatz von beiden Antikörpern
empfehlen auch die aktuellen Therapierichtli-nien der ESMO, wobei nur Bevacizumab auch für die
Subgruppe der Patienten mit RAS-mutierten Tu-moren in der First-Line zugelassen ist [11].
Avastin in der Gynäkologie: Etablierter Standard und aktueller Durchbruch
VEGF spielt als Mediator der Angiogenese beim Ovarial- und Zervixkarzinom eine Schlüsselrolle.
Die zielgerichtete Hemmung von VEGF durch Bevacizumab führte sowohl beim OC als auch CC nach
Jahren des Stillstands zu medikamentösem Fortschritt.
Seit Ende 2011 ist Bevacizumab in Kombination mit Carboplatin und Paclitaxel für die First-Line-Therapie
des fortgeschrittenen epithelialen Ovarialkarzinoms (FIGO-Stadien IIIB-IV) zugelassen [2].
In der zulassungsrelevanten Studie GOG-0218 erwies sich die frühe Kombination von
Bevacizumab mit Carboplatin/Paclitaxel mit anschließender Bevacizumab-Monotherapie
über insgesamt 15 Monate der alleinigen Chemotherapie als signifikant überlegen: Das
Bevacizumab-Regime verlängerte das PFS der Patientinnen signifikant um
6,2 Monate (18,2 vs. 12,0 Monate; HR=0,644, p<0,0001) [2, 9]. Die Ergebnisse der
ICON7-Studie bestätigen die überlegene Wirksamkeit der frühen und kontinuierlichen
First-Line-Therapie mit Bevacizumab [10].
Für Patientinnen mit fortgeschrittenem OC, die Bevacizumab nicht im Rahmen der
First-Line-Therapie erhalten konnten, ist der monoklonale Antikörper auch für die
Rezidivsituation zugelassen. Bereits 2012 erfolgte die Zulassung für Bevacizumab
für das platinsensitive Rezidiv in Kombination mit Carboplatin und Gemcitabin und in
der Folge als Monotherapie bis zum Progress. Seit August 2014 steht der Angiogenese-Hemmer
in Kombination mit Chemotherapie (Paclitaxel, pegyliertem liposomalem Doxorubicin oder Topotecan)
bis zur Progression auch für Frauen mit platinresistentem Rezidiv zur Verfügung [2].
„Heute ist Bevacizumab als Standard in der Behandlung des fortgeschrittenen Ovarialkarzinom fest
etabliert“, urteilt Prof. Dr. Matthias W. Beckmann, Ärztlicher Direktor der Frauenklinik am
Universi-tätsklinikum Erlangen. „Die Therapie mit dem VEGF-Antikörper bietet Patientinnen
in allen Therapiesitutationen des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms die Aussicht auf eine
signifikant verlängerte, progressionsfreie Zeit.“
Zudem erschließt Bevacizumab heute noch neue Therapiegebiete: Seit März 2015 ist Avastin in
Kombination mit Paclitaxel und Cisplatin – oder alternativ mit Paclitaxel und Topotecan bei
Patientinnen, die keine platinhaltige Therapie erhalten können – zur Behandlung von Frauen mit
persistierendem, rezidivierendem oder metastasiertem Zervixkarzinom zugelassen. Die Zulassung
basiert auf den Resultaten der Studie GOG-240. Die randomisierte Phase-III-Studie führte bei
Patientinnen, die Bevacizumab in Kombination mit einer Chemotherapie erhielten, zu einer
signifikanten Reduktion des Sterberisikos um 29% (HR=0,71; p=0,004). Die Patientinnen
überlebten mit dem Bevacizumab-Regime im Median fast vier Monate länger (17,0 vs. 13,3 Monate
unter alleiniger Chemotherapie)[12]. „Diese Zulassung ist eine wichtige neue Option für Patientinnen,
für die seit gut 10 Jahren kein medikamentöser Fortschritt erzielt werden konnte“, betonte Prof. Dr. Beckmann.
In der Zulassungsstudie zeigte sich für Bevacizumab beim Zervixkarzinom ein ähnliches Sicherheitsprofil,
wie es aus Zulassungsstudien bei anderen onkologischen Entitäten erfasst wurde. Speziell bei
im Becken vorbestrahlten Patientinnen muss auf eine mögliche Fistelbildung geachtet werden.
In der Zulassungsstudie waren rektovaginale Fisteln unter der Therapie mit Bevacizumab
signifikant häufiger als unter alleiniger Chemotherapie. Alle betroffenen Patientinnen hatten
zuvor eine Strahlentherapie im Beckenbereich erhalten. Durch die Gabe des VEGF-Antikörpers in
Kombination mit Chemotherapie wurde die Lebensqualität nicht beeinträchtigt [13].
Die jüngste Neuzulassung zur Therapie des fortgeschrittenen Zervixkarzinoms zeigt die Aktualität
von Bevacizumab. Aktuell laufen zudem mehr als 500 klinische Prüfungen, in denen die Wirksamkeit
und Verträglichkeit von Avastin in der Behandlung von über 50 Tumorarten untersucht wird.
Quellen:
Roche Pharma AG.
[1] Periodic Safety Update Report für Avastin®, April 2014
[2] Aktuelle Fachinformation Avastin®
[3] Hurwitz H et al., N Engl J Med 2004; 350: 2335-2342
[4] Tebbutt N et al., J Clin Oncol 2010; 28: 3191-3198
[5] Falcone A et al., J Clin Oncol 2013; 31(suppl; Abstract 3505)
[6] Saltz L et al., J Clin Oncol 2008; 26: 2013-2019
[7] Lenz H-J et al., ESMO 2014, Abstract 501O
[8] Loupakis F et al., N Engl J Med 2014; 371: 1609-1618
[9] Cremolini C et al., J Clin Oncol 2015; 33: 3 (suppl; Abstract 657 and poster session)
[10] Kabbinavar F et al., J Clin Oncol 2009; 27: 199-205
[11] Van Cutsem E et al., Ann Oncol 2014; 25 (suppl. 3): iii1-iii9
[12] Tewari K et al., N Engl J Med 2014; 370: 734-743
[13] Tewari K et al., J Clin Oncol 2013; 31(suppl; Abstract 3)
Juni 2015 |
Literaturreferate
Capecitabin zu Anthrazyklin- und Taxan-basierter neoadjuvanter Therapie bei primärem Brustkrebs
Paclitaxel dosisdicht bei fortgeschrittenem Ovarialkrebs