Antiemese im klinischen Alltag häufig suboptimal
Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen (CINV) wird durch die Stimulation peripherer
und zentraler Signalwege ausgelöst. „Dass eine antiemetische Kombinationstherapie, die
sowohl die durch Serotonin in der akuten Phase als auch die durch Substanz P in der
verzögerten Phase vermittelten Prozesse blockiert, sinnvoll ist, liegt auf der Hand“,
erklärte Feyer. „Die Theorie ist also bekannt, jedoch stellt sich dann die Frage:
Warum läuft es in der Praxis nicht?“ Insbesondere das Auftreten von verzögerter
CINV (24-120 h nach Chemotherapie) werde häufig unterschätzt. So erwarteten in einer
Studie Pflegekräfte und Ärzte, dass bei Nicht-Cisplatin-haltiger hoch emetogener
Chemotherapie (HEC) das Erbrechen in der verzögerten Phase mit Granisetron und
Dexamethason bei 91% der Patienten zu verhindern sei. Tatsächlich war dies aber
nur bei 60% der Patienten der Fall. Auch bei moderat emetogener Chemotherapie (MEC)
wurde die durch Granisetron plus Dexamethason erzielte Kontrolle überschätzt und
verzögert auftretendes Erbrechen unterschätzt [2]. Zu den ärztlichen Vorbehalten, die
eine ausreichende Antiemese verhindern können, zählt u.a. die Sorge um mögliche
Nebenwirkungen der Antiemetika. Diese sei aber unbegründet, so Feyer. „Potenzielle
Nebenwirkungen können kein Grund sein, die Antiemese zu unterlassen“. Die typischen
Symptome Kopfschmerzen und Obstipation seien selten und nur leicht ausgeprägt und
außerdem gut zu kontrollieren. Die Patienten selbst möchten oft möglichst wenige
verschiedene Medikamente einnehmen und nicht zur Last fallen [3]. Studienergebnisse
zeigen jedoch, dass Patienten, die eine an den Leitlinien internationaler
Fachgesellschaften orientierte antiemetische Prophylaxe erhalten, signifikant
besser vor CINV geschützt sind [4,5].
MASCC-Leitlinien 2016 erhöhen Stellenwert der Dreifachantiemese mit NK1-RA
Evidenzbasierte Leitlinien wie die der Multinational Association of Supportive
Care in Cancer (MASCC) unterliegen einem kontinuierlichen Aktualisierungsprozess.
Im März 2016 hat die MASCC ein Update ihrer in Zusammenarbeit mit der European
Society for Medical Oncology (ESMO) erstellten Antiemese-Leitlinien veröffentlicht.
„Expertengruppen zu 10 verschiedenen Teilgebieten der Antiemese haben die verfügbare
Literatur gescreent und schließlich Schlüsselempfehlungen erarbeitet, wobei der
Konsensprozess nicht immer einfach war“, berichtete Feyer, die als Vorsitzende des
Arbeitskreises „Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilitation und Sozialmedizin“
(ASORS) innerhalb der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) selbst an der
Antiemese-Leitlinien-Konferenz von MASCC und ESMO in Kopenhagen teilgenommen hatte.
Eine wesentliche Änderung in den neuen Leitlinien ist die Empfehlung der
Dreifachantiemese unter Einschluss eines NK1-Rezeptorantagonisten (NK1-RA)
nicht nur bei HEC, sondern auch an Tag 1 einer Chemotherapie mit dem moderat
emetogenen Carboplatin, das damit eine Sonderstellung innerhalb der MEC erhält.
„Eine solche Zwischenstufe stellten früher Anthrazyklin/Cyclophosphamid (AC)-basierte
Chemotherapien dar. Jetzt wird die AC-Chemotherapie bei Mammakarzinompatientinnen
eindeutig als HEC klassifiziert. Sie bedürfen damit natürlich an Tag 1 einer
Dreifachantiemese“, erklärte Feyer.
Die Empfehlungen zur Prävention der verzögerten CINV seien allerdings etwas
unübersichtlich: Wurde an Tag 1 einer HEC der intravenöse NK1-RA Fosaprepitant
zusammen mit einem 5-HT3-RA und Dexamethason oder Netupitant/Palonosetron (NEPA)
und Dexamethason verabreicht, so muss an den Tagen 2 bis 4 nur noch das
Kortikosteroid gegeben werden. Bei Verwendung von oralem Aprepitant plus 5-HT3-RA
und Dexamethason gibt man an den Tagen 2 und 3 Aprepitant dazu. Bei AC-basierter
HEC und bei Carboplatin empfehlen die MASCC-Leitlinien bei Verwendung einer
Dreifachantiemese mit Fosaprepitant oder NEPA an Tag 1 keine weitere Prophylaxe
in der verzögerten Phase. Bei Verwendung von Aprepitant sollte bei AC-Chemotherapie
Aprepitant (Tag 2-3) oder Dexamethason (Tag 2-4) eingesetzt werden, bei Carboplatin
nur Aprepitant (Tag 2-3). „Die Empfehlung keiner weiteren Prophylaxe an den
Folgetagen möchte ich persönlich aber mit einem Fragezeichen versehen“, kommentierte
Feyer die neuen Leitlinien. Eine Dreifachantiemese mit dem NK1-RA Aprepitant (Emend®)
wird von den neuen MASCC/ESMO Leitlinien für die Prävention der akuten CINV bei
Cisplatin-basierten Mehrtageschemotherapien und bei Hochdosischemotherapien vor
einer Stammzelltransplantation empfohlen. Desweiteren empfehlen MASCC/ESMO die
Dreifachantiemese mit Aprepitant bei Kindern, die eine HEC erhalten. Ist Dexamethason
kontraindiziert, sollen Ondansetron oder Granisetron plus Aprepitant gegeben werden.
Studien belegen Vorteil für Antiemese mit NK1-RA bei Carboplatin
Als Rationale für die Leitlinienänderung bei Carboplatin-haltigen Regimen diente
eine Reihe von Studien, die einen klinischen Vorteil von mindestens 10% für die
Dreifachantiemese mit einem NK1-RA bei Carboplatin-haltiger Chemotherapie gezeigt
hatten. Bei der Änderung der Leitlinie noch nicht berücksichtigt wurden jedoch die
Ergebnisse einer weiteren, im Januar 2016 publizierten Arbeit, die signifikante
Vorteile für die Dreifachantiemese mit Fosaprepitant bei MEC (53% Carboplatin-basiert)
zeigte [6]: Der Unterschied beim kompletten Ansprechen betrug in der verzögerten Phase und
im gesamten Risikozeitraum über 10% (jeweils p<0,001). Signifikant mehr mit der
Dreifachantiemese behandelte Patienten verspürten keine oder nur eine minimale
Beeinträchtigung ihres Alltags durch CINV (p=0,043). Auch die Übelkeit war signifikant
reduziert (p=0,026) „Zusammenfassend kann man sagen, dass die Lebensqualität im
Fosaprepitant-Arm deutlich besser war. Dies ist sicherlich auch auf die bessere Kontrolle
der Übelkeit zurückzuführen, die oft als deutlich quälender empfunden wird als das
Erbrechen“, kommentierte Feyer.
Nicht nur Behandler und Ärzte profitieren von einer leitliniengerechten, evidenzbasierten onkologischen Versorgung. Pharmaökonomische Studien haben mittlerweile gezeigt, dass eine effektive Antiemese kosteneffizient ist und Folgekosten vermindert [7]. „Eine leitliniengerechte und damit evidenzbasierte Antiemese verhindert nicht nur Therapieverminderungen und erhöht Zufriedenheit und Vertrauen der Patienten. Sie ist auch kostengünstiger als die Folgen einer unterlassenen Antiemese zu tragen“, fasste Feyer zusammen.
Mascha Pömmerl, Feldkirchen-Westerham, Dr. Claudia Schöllmann, Grasbrunn
Quelle: Fachpresse-Workshop der POMME-med GmbH am 13. April 2016 in München;
Gemeinsame Sponsoren: MSD SHARP & DOHME GmbH, Mundipharma GmbH & Co. KG, Novartis Pharma GmbH
Literatur:
[1] http://www.mascc.org/antiemetic-guidelines
[2] Majem M, Moreno ME, Calvo N, et al. Perception of healthcare providers versus patient
reported incidence of chemotherapy-induced nausea and vomiting after the addition of NK-1
receptor antagonists. Support Care Cancer 2011;19:1983-90
[3] Salsman JM, Grunberg SM, Beaumont JL, et al. Communicating about chemotherapy-induced
nausea and vomiting: a comparison of patient and provider perspectives. J Natl Compr Canc Netw 2012;10:149-157
[4] Aapro M, Molassiotis A, Dicato M, et al. The effect of guideline-consistent
antiemetic therapy on chemotherapy-induced nausea and vomiting (CINV): the Pan European Emesis
Registry (PEER). Ann Oncol 2012;23:1986-1992
[5] Gilmore JW, Peacock NW, Gu A, et al. Antiemetic guideline consistency and incidence of
chemotherapy-induced nausea and vomiting in US community oncology practice: INSPIRE Study. J Oncol Pract 2014;10:68-74
[6] Weinstein C, Jordan K, Green SA et al. Single-dose fosaprepitant for the prevention
of chemotherapy-induced nausea and vomiting associated with moderately emetogenic chemotherapy:
results of a randomized, double-blind phase III trial. Ann Oncol 2016;27:172-8
[7] Kurtin P, Stucky E. Standardize to excellence: improving the quality and safety of
care with clinical pathways. Pediatr Clin North Am 2009;56:893-904
Mai 2016 |
Literaturreferate
Capecitabin zu Anthrazyklin- und Taxan-basierter neoadjuvanter Therapie bei primärem Brustkrebs
Paclitaxel dosisdicht bei fortgeschrittenem Ovarialkrebs