Highlights zur onkologischen Therapie und Supportivtherapie: Wichtige Neuerungen der Antiemese-Leitlinien von MASCC und ESMO

Praxisrelevante Neuigkeiten zu einem zentralen Bestandteil der onkologischen Supportivtherapie, der Antiemese, erläuterte Prof. Petra Feyer, Berlin. Sie stellte die wichtigsten Neuerungen der gemeinsamen Antiemese-Leitlinien von MASCC und ESMO vor, die im März 2016 publiziert worden waren [1]: Dazu gehört, dass die moderat emetogene Substanz Carboplatin eine Sonderstellung erhält und einer Dreifachantiemese unter Einschluss eines NK1-Rezeptorantagonisten bedarf. Eine leitliniengerechte Antiemese kann z.B. mit dem intravenösen NK1-Rezeptorantagonisten Fosaprepitant (IVEMEND®) in Kombination mit einem 5-HT3-Rezeptorantagonisten und Dexamethason erfolgen. An den Folgetagen ist dann keine weitere Antiemese mehr erforderlich.

Antiemese im klinischen Alltag häufig suboptimal

Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen (CINV) wird durch die Stimulation peripherer und zentraler Signalwege ausgelöst. „Dass eine antiemetische Kombinationstherapie, die sowohl die durch Serotonin in der akuten Phase als auch die durch Substanz P in der verzögerten Phase vermittelten Prozesse blockiert, sinnvoll ist, liegt auf der Hand“, erklärte Feyer. „Die Theorie ist also bekannt, jedoch stellt sich dann die Frage: Warum läuft es in der Praxis nicht?“ Insbesondere das Auftreten von verzögerter CINV (24-120 h nach Chemotherapie) werde häufig unterschätzt. So erwarteten in einer Studie Pflegekräfte und Ärzte, dass bei Nicht-Cisplatin-haltiger hoch emetogener Chemotherapie (HEC) das Erbrechen in der verzögerten Phase mit Granisetron und Dexamethason bei 91% der Patienten zu verhindern sei. Tatsächlich war dies aber nur bei 60% der Patienten der Fall. Auch bei moderat emetogener Chemotherapie (MEC) wurde die durch Granisetron plus Dexamethason erzielte Kontrolle überschätzt und verzögert auftretendes Erbrechen unterschätzt [2]. Zu den ärztlichen Vorbehalten, die eine ausreichende Antiemese verhindern können, zählt u.a. die Sorge um mögliche Nebenwirkungen der Antiemetika. Diese sei aber unbegründet, so Feyer. „Potenzielle Nebenwirkungen können kein Grund sein, die Antiemese zu unterlassen“. Die typischen Symptome Kopfschmerzen und Obstipation seien selten und nur leicht ausgeprägt und außerdem gut zu kontrollieren. Die Patienten selbst möchten oft möglichst wenige verschiedene Medikamente einnehmen und nicht zur Last fallen [3]. Studienergebnisse zeigen jedoch, dass Patienten, die eine an den Leitlinien internationaler Fachgesellschaften orientierte antiemetische Prophylaxe erhalten, signifikant besser vor CINV geschützt sind [4,5].

MASCC-Leitlinien 2016 erhöhen Stellenwert der Dreifachantiemese mit NK1-RA

Evidenzbasierte Leitlinien wie die der Multinational Association of Supportive Care in Cancer (MASCC) unterliegen einem kontinuierlichen Aktualisierungsprozess. Im März 2016 hat die MASCC ein Update ihrer in Zusammenarbeit mit der European Society for Medical Oncology (ESMO) erstellten Antiemese-Leitlinien veröffentlicht. „Expertengruppen zu 10 verschiedenen Teilgebieten der Antiemese haben die verfügbare Literatur gescreent und schließlich Schlüsselempfehlungen erarbeitet, wobei der Konsensprozess nicht immer einfach war“, berichtete Feyer, die als Vorsitzende des Arbeitskreises „Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilitation und Sozialmedizin“ (ASORS) innerhalb der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) selbst an der Antiemese-Leitlinien-Konferenz von MASCC und ESMO in Kopenhagen teilgenommen hatte. Eine wesentliche Änderung in den neuen Leitlinien ist die Empfehlung der Dreifachantiemese unter Einschluss eines NK1-Rezeptorantagonisten (NK1-RA) nicht nur bei HEC, sondern auch an Tag 1 einer Chemotherapie mit dem moderat emetogenen Carboplatin, das damit eine Sonderstellung innerhalb der MEC erhält. „Eine solche Zwischenstufe stellten früher Anthrazyklin/Cyclophosphamid (AC)-basierte Chemotherapien dar. Jetzt wird die AC-Chemotherapie bei Mammakarzinompatientinnen eindeutig als HEC klassifiziert. Sie bedürfen damit natürlich an Tag 1 einer Dreifachantiemese“, erklärte Feyer.

Die Empfehlungen zur Prävention der verzögerten CINV seien allerdings etwas unübersichtlich: Wurde an Tag 1 einer HEC der intravenöse NK1-RA Fosaprepitant zusammen mit einem 5-HT3-RA und Dexamethason oder Netupitant/Palonosetron (NEPA) und Dexamethason verabreicht, so muss an den Tagen 2 bis 4 nur noch das Kortikosteroid gegeben werden. Bei Verwendung von oralem Aprepitant plus 5-HT3-RA und Dexamethason gibt man an den Tagen 2 und 3 Aprepitant dazu. Bei AC-basierter HEC und bei Carboplatin empfehlen die MASCC-Leitlinien bei Verwendung einer Dreifachantiemese mit Fosaprepitant oder NEPA an Tag 1 keine weitere Prophylaxe in der verzögerten Phase. Bei Verwendung von Aprepitant sollte bei AC-Chemotherapie Aprepitant (Tag 2-3) oder Dexamethason (Tag 2-4) eingesetzt werden, bei Carboplatin nur Aprepitant (Tag 2-3). „Die Empfehlung keiner weiteren Prophylaxe an den Folgetagen möchte ich persönlich aber mit einem Fragezeichen versehen“, kommentierte Feyer die neuen Leitlinien. Eine Dreifachantiemese mit dem NK1-RA Aprepitant (Emend®) wird von den neuen MASCC/ESMO Leitlinien für die Prävention der akuten CINV bei Cisplatin-basierten Mehrtageschemotherapien und bei Hochdosischemotherapien vor einer Stammzelltransplantation empfohlen. Desweiteren empfehlen MASCC/ESMO die Dreifachantiemese mit Aprepitant bei Kindern, die eine HEC erhalten. Ist Dexamethason kontraindiziert, sollen Ondansetron oder Granisetron plus Aprepitant gegeben werden.

Studien belegen Vorteil für Antiemese mit NK1-RA bei Carboplatin

Als Rationale für die Leitlinienänderung bei Carboplatin-haltigen Regimen diente eine Reihe von Studien, die einen klinischen Vorteil von mindestens 10% für die Dreifachantiemese mit einem NK1-RA bei Carboplatin-haltiger Chemotherapie gezeigt hatten. Bei der Änderung der Leitlinie noch nicht berücksichtigt wurden jedoch die Ergebnisse einer weiteren, im Januar 2016 publizierten Arbeit, die signifikante Vorteile für die Dreifachantiemese mit Fosaprepitant bei MEC (53% Carboplatin-basiert) zeigte [6]: Der Unterschied beim kompletten Ansprechen betrug in der verzögerten Phase und im gesamten Risikozeitraum über 10% (jeweils p<0,001). Signifikant mehr mit der Dreifachantiemese behandelte Patienten verspürten keine oder nur eine minimale Beeinträchtigung ihres Alltags durch CINV (p=0,043). Auch die Übelkeit war signifikant reduziert (p=0,026) „Zusammenfassend kann man sagen, dass die Lebensqualität im Fosaprepitant-Arm deutlich besser war. Dies ist sicherlich auch auf die bessere Kontrolle der Übelkeit zurückzuführen, die oft als deutlich quälender empfunden wird als das Erbrechen“, kommentierte Feyer.

Nicht nur Behandler und Ärzte profitieren von einer leitliniengerechten, evidenzbasierten onkologischen Versorgung. Pharmaökonomische Studien haben mittlerweile gezeigt, dass eine effektive Antiemese kosteneffizient ist und Folgekosten vermindert [7]. „Eine leitliniengerechte und damit evidenzbasierte Antiemese verhindert nicht nur Therapieverminderungen und erhöht Zufriedenheit und Vertrauen der Patienten. Sie ist auch kostengünstiger als die Folgen einer unterlassenen Antiemese zu tragen“, fasste Feyer zusammen.

Mascha Pömmerl, Feldkirchen-Westerham, Dr. Claudia Schöllmann, Grasbrunn

Quelle: Fachpresse-Workshop der POMME-med GmbH am 13. April 2016 in München; Gemeinsame Sponsoren: MSD SHARP & DOHME GmbH, Mundipharma GmbH & Co. KG, Novartis Pharma GmbH


Literatur:
[1] http://www.mascc.org/antiemetic-guidelines
[2] Majem M, Moreno ME, Calvo N, et al. Perception of healthcare providers versus patient reported incidence of chemotherapy-induced nausea and vomiting after the addition of NK-1 receptor antagonists. Support Care Cancer 2011;19:1983-90
[3] Salsman JM, Grunberg SM, Beaumont JL, et al. Communicating about chemotherapy-induced nausea and vomiting: a comparison of patient and provider perspectives. J Natl Compr Canc Netw 2012;10:149-157
[4] Aapro M, Molassiotis A, Dicato M, et al. The effect of guideline-consistent antiemetic therapy on chemotherapy-induced nausea and vomiting (CINV): the Pan European Emesis Registry (PEER). Ann Oncol 2012;23:1986-1992
[5] Gilmore JW, Peacock NW, Gu A, et al. Antiemetic guideline consistency and incidence of chemotherapy-induced nausea and vomiting in US community oncology practice: INSPIRE Study. J Oncol Pract 2014;10:68-74
[6] Weinstein C, Jordan K, Green SA et al. Single-dose fosaprepitant for the prevention of chemotherapy-induced nausea and vomiting associated with moderately emetogenic chemotherapy: results of a randomized, double-blind phase III trial. Ann Oncol 2016;27:172-8
[7] Kurtin P, Stucky E. Standardize to excellence: improving the quality and safety of care with clinical pathways. Pediatr Clin North Am 2009;56:893-904




Mai 2016

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Literaturreferate
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Neoadjuvante Therapie mit Trastuzu-mab bei HER2-positivem Brustkrebs

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