Krebs ist eine Erkrankung der Gene. In Tumorzellen sind jedoch nicht nur einzelne
Krebsgene verändert, sondern es liegt meist eine Vielzahl an Mutationen vor.
Die jeweilige Kombination der Mutationen bestimmt das Verhalten der Zellen,
etwa ihr Wachstum und auch das Ansprechen auf Therapien. Genau dies lässt
sich jedoch oft nicht vorhersagen. Um Therapien, die sich gezielt gegen
einzelne Veränderungen der Krebszelle richten, sinnvoll kombinieren zu
können, müssen Wissenschaftler zunächst verstehen, wie sich die veränderten
Gene gegenseitig beeinflussen.
Um diese Frage zu beantworten, haben Wissenschaftler vom Deutschen
Krebsforschungszentrum (DKFZ), der Universität Heidelberg und vom
Europäischen Molekularbiologie-Labor (EMBL) in Heidelberg ein neues
Verfahren entwickelt. Sie wollen im großen Maßstab untersuchen, wie
Gene miteinander interagieren, sich also gegenseitig in ihrer Wirkung
verstärken oder neutralisieren. Die Interaktionsprofile der Gene
funktionieren wie in sozialen Netzwerken: Haben zwei Menschen sehr
ähnliche Freundeslisten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie
sich gut kennen. Analog ist es wahrscheinlich, dass zwei Gene mit
ähnlichen Interaktionsprofilen eng zusammenarbeiten - so lassen sich
ganze Netzwerke von kooperierenden Genen erstellen. Vergleichbare
Verfahren wurden bereits für Modellorganismen wie Hefe und Fruchtfliege
entwickelt. Nun ist es zum ersten Mal gelungen, die Methode bei
menschlichen Krebszellen anzuwenden.
Die Wissenschaftler konzentrierten sich vor allem auf Gene, die die
sogenannte epigenetische Regulation beeinflussen. "Solche Gene steuern
die Aktivität anderer Gene und beeinflussen die Struktur von Chromosomen.
Sie haben daher großen Einfluss auf die korrekte Zellteilung und sind
deshalb für die Krebsforschung interessant", sagt Michael Boutros vom DKFZ.
"Mit unserer Methode können wir nun herausfinden, wie sich diese
epigenetischen Faktoren gegenseitig in ihrer Wirkung beeinflussen."
"Dazu haben wir insgesamt 323 epigenetisch aktive Gene einzeln und auch in
Kombination ausgeschaltet", beschreibt Christina Laufer, die Erstautorin der
Arbeit, den Forschungsansatz. Das Vorhaben hatte außergewöhnliche Dimensionen,
insgesamt kamen über 50.000 Einzelexperimente zusammen. Um zu beobachten,
wie sich das kombinierte Ausschalten der Gene auf die Krebszellen auswirkte,
färbten die Wissenschaftler verschiedene Zellstrukturen wie Kern und Zellskelett
an und fotografierten alle Zellen. Insgesamt erhielten sie so über 600.000 Bilder.
"Eine solche Menge Bilder kann man natürlich nicht mehr mit dem Auge auswerten",
erklärt Wolfgang Huber vom EMBL. "Geholfen hat uns eine spezielle
Bildverarbeitungsmethode, mit der wir die Auswertung automatisiert haben."
Die Software ermöglichte es, die Folgen der genetischen Eingriffe innerhalb
kurzer Zeit festzustellen.
"Wir konnten bestätigen, dass sich unsere Methode hervorragend dazu eignet,
das Zusammenspiel von Genen zu ermitteln", sagt Michael Boutros. "Um zu
verstehen, was eine Krebszelle von einer gesunden Zelle unterscheidet,
müssen wir dieses Zusammenspiel kennen. Erst auf dieser Basis kann es
gelingen, gezielt in einen Prozess einzugreifen und damit bessere Medikamente
in wirksameren Kombinationen gegen Krebserkrankungen zu entwickeln."
Das Projekt wurde im Rahmen des Exzellenzclusters CellNetworks der Deutschen
Forschungsgemeinschaft gefördert. Michael Boutros ist Abteilungsleiter am DKFZ
und an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg.
Wolfgang Huber ist Senior Scientist und Gruppenleiter am EMBL.
Laufer C, Fischer B, Billmann M, Huber W, Boutros M. 2013. Mapping genetic
interactions in human cancer cells with RNAi and multiparametric phenotyping.
Nature Methods 2013, DOI: 10.1038/nmeth.2436 Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrum
Mai 2013 |